Die Diskussion um die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit im Bauwesen konzentrierte sich lange auf den Energiebedarf während der Nutzungsphase eines Gebäudes. Aufgrund von Effizienzsteigerungen, verschärften gesetzlichen Anforderungen und dem zunehmenden Einsatz erneuerbarer Energien sinken diese Betriebsemissionen kontinuierlich. Damit verschiebt sich die relative Bedeutung: Mittlerweile machen graue Energie und graue Emissionen einen erheblichen Anteil der gesamten Umweltwirkungen eines Gebäudes aus. In diesem Beitrag werden die beiden Begriffe erläutert, ihre Relevanz für den Gebäudesektor aufgezeigt und Strategien zu ihrer Reduktion dargestellt.
1 Definitionen
Lange bevor ein Produkt in ein Gebäude eingebaut wird, fließen Energie und Ressourcen in seine Herstellung, Verarbeitung und den Transport. Dies beginnt mit dem Abbau der Rohstoffe, setzt sich über industrielle Produktionsprozesse fort und umfasst auch die Logistik bis zur Baustelle sowie den Einbau in das Gebäude. Die dabei entstehenden Aufwendungen und Emissionen werden als graue Energieundgraue Emissionenbezeichnet.
1.1 Graue Energie
Der Begriff graue Energiebeschreibt die Energiemenge, die für die Herstellung, Nutzung und Entsorgung bzw. Verwertung eines Bauprodukts oder Gebäudes erforderlich ist. Graue Energie lässt sich daher auch als der energetische Rucksack eines Produkts oder Bauwerks verstehen – er begleitet jedes Material und jedes Bauteil vom Ursprung bis zum Lebensende.
In Ökobilanzen wird die graue Energie weiter unterteilt in erneuerbare und nicht erneuerbare Energieanteile. Zudem wird oftmals zwischen stofflich und energetisch genutzter Energie unterschieden: Während der stofflich genutzte Anteil in Form von Baustoffen wie Holz in den Produkten gebunden bleibt und damit später beispielsweise für eine energetische Verwertung zur Verfügung steht, wird die energetisch genutzte Energie in den vorgelagerten Produktions- und Transportprozessen verbraucht.
1.2 Graue Emissionen
Analog zur Betrachtung der grauen Energie werden im Bauwesen auch die grauen Emissionen von Baustoffen ermittelt. Darunter fallen sämtliche Emissionen, die mit dem Lebenszyklus eines Produkts oder Bauwerks verbunden sind. Die Betrachtung konzentriert sich überwiegend auf Treibhausgasemissionen wie Kohlendioxid oder Methan, daneben gibt es aber auch andere Emissionen, die beispielsweise zum Abbau von Ozon in der Atmosphäre oder zur Versauerung von Wasser und Böden beitragen.
Graue Emissionen entstehen vor allem, wenn fossile Brennstoffe als Energieträger eingesetzt werden, zum Beispiel bei der Strom- und Wärmeerzeugung für Produktionsprozesse oder beim Transport von Baustoffen. Auch das Düngen von Böden sowie chemische Reaktionen, z. B. bei der Zementherstellung, können zur Freisetzung grauer Emissionen führen.
2 Ökobilanzen als Grundlage für nachhaltige Bauentscheidungen
Die Berechnung der für das Gebäude aufgewendeten grauen Energie und der durch ein Bauprojekt verursachten grauen Emissionen erfolgt im Rahmen von Ökobilanzen (engl. Life Cycle Assessment, LCA). Grundlage sind Daten aus Umweltproduktdeklarationen (engl. Environmental Product Declarations, EPDs), in denen Hersteller die Umweltwirkungen ihrer Produkte transparent ausweisen. Auf diese Weise können Planende verschiedene Bauweisen, Materialien oder Konstruktionsvarianten vergleichen und fundierte Entscheidungen im Hinblick auf die ökologische Effizienz treffen. Wichtig ist hierbei zu betonen, dass ein Vergleich nur im Gesamtgebäudekontext unter der Berücksichtigung aller Lebenszyklusphasen (inklusive Nutzung und End-of-Life) sinnvoll ist.
3 Optimierung durch vorausschauende Planung
Die Reduktion grauer Energie und grauer Emissionen im Gebäudesektor gelingt vor allem durch material- und energieeffiziente Bauweisen in Kombination mit der bewussten Auswahl energiearmer, umweltfreundlich hergestellter Materialien. Grundsätzlich lassen sich die Optimierungspotenziale in drei Design-Prinzipien gliedern:
- Materialeinsatz reduzieren: Durch optimierte Konstruktionen und Bauteildimensionen kann der Bedarf an Baustoffen verringert werden.
- Energieeffiziente und emissionsarme Baustoffe verwenden: Der Einsatz von CO₂-reduziertem Beton, Holz, Stroh, Lehm oder anderen umweltfreundlichen Materialien senkt die grauen Emissionen bereits in der Herstellung. Wichtig ist, dass dabei das Gesamtkonzept des Gebäudes in die Betrachtung einbezogen wird. Wenn alternative Materialien aus technischen Gründen (z. B. Brand- oder Witterungsschutz) zu aufwendigeren Konstruktionen oder zusätzlichem Materialeinsatz führen, kann dies der Energie- und Emissionsreduktion entgegenwirken.
- Kreislaufwirtschaft und Bestandserhalt forcieren: Durch die Wiederverwendung oder das Recycling von Bauteilen sowie den Erhalt bestehender Gebäude wird die Nutzung bereits vorhandener grauer Energie maximiert und der Bedarf an Primärmaterialien reduziert.
4 Fazit
Graue Energie und graue Emissionen entstehen zum Großteil bereits vor der Nutzung eines Gebäudes und machen insbesondere bei energieeffizienten Neubauten einen erheblichen Anteil der Umweltbelastungen im Lebenszyklus aus. Durch eine bewusste Materialwahl und rohstoffeffiziente, langlebige Bauweisen lassen sich diese Umweltwirkungen deutlich reduzieren.
Das gesamte Glossar ist zu finden unter www.nbau.org/glossar.