Gute Haltung, keine Wirkung?

Warum nachhaltiges Verhalten in Unternehmen erst möglich wird, wenn der Kontext stimmt

„Nie war die Chance so groß, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu ändern, wie jetzt.“ – Mit diesem Satz kommentiert ein Artikel in der FAZ die Lage bezüglich Recycling / Kreislaufwirtschaft im Bauwesen [1]. Die Branche, so heißt es dort, könnte durch kluges Vergaberecht und klare Standards einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Doch bislang fehle der Anreiz, recycelte Materialien einzusetzen. Das System selbst verhindere die Nutzung vorhandener Potenziale.

Genau dieser Widerspruch hat mich im Rahmen meines MBA-Studiums in Nachhaltigkeitsmanagement intensiv beschäftigt: Warum bleibt nachhaltiges Verhalten so oft aus, obwohl die Haltung stimmt? Was hindert Menschen und Organisationen daran, das Offensichtliche umzusetzen? Die folgenden Beobachtungen und Befunde sind Teil meiner Suche nach Antworten – und nach Strukturen, die Veränderung wirklich ermöglichen. Ein zentrales Muster, das sich dabei zeigt: Selbst überzeugte Unternehmen scheitern nicht am Wollen, sondern am Wie. Diese Diagnose passt zu einem strukturellen Dilemma, das weit über das rechtliche hinausreicht: Viele Unternehmen formulieren klare Werte, bekennen sich zur Verantwortung, beauftragen Nachhaltigkeitsbeauftragte. Doch oft bleibt das Handeln dahinter zurück. Mitarbeitende, die sich engagieren wollen, stoßen auf zähe Prozesse, fehlende Entscheidungsspielräume oder ein „Das haben wir schon immer so gemacht“. Die Haltung ist da. Die Wirkung fehlt.

Warum?

Ein Blick in die Umweltpsychologie liefert eine Antwort. Der US-amerikanische Sozialpsychologe Paul C. Stern entwickelte bereits im Jahr 2000 ein Modell, das bis heute hohe Relevanz für die Nachhaltigkeitsdebatte hat: das sogenannte ABC-Modell (Attitude–Behavior–Context) [2]. Es besagt, dass nachhaltiges Verhalten nur dann entsteht, wenn Haltung (Attitude) und Kontext (Context) zusammenwirken. Ist eine Seite zu schwach oder widersprüchlich, bleibt Verhalten aus. Oder wird sogar verhindert. Dieses Modell hat seither zahlreiche Studien beeinflusst – unter anderem eine aktuelle Untersuchung aus Australien zur begrenzten Nutzung von recycelten Baumaterialien [3]. Sie zeigt, wie häufig die besten Absichten an den Strukturen scheitern. Auch in meiner eigenen Masterarbeit, die sich mit Treibern und Hemmnissen für zirkuläre Geschäftsmodelle im Bausektor beschäftigte, zeigten sich vergleichbare Muster.

Was bringt die beste Haltung, wenn der Kontext sie blockiert?

Das ABC-Modell erklärt, warum viele Nachhaltigkeitsinitiativen schwer in Gang kommen oder scheitern, obwohl es an Haltung nicht mangelt. Wenn der Kontext nicht passt – etwa, weil Entscheidungswege zu lang, Verantwortlichkeiten unklar oder Ressourcen zu knapp sind –, können selbst überzeugte Mitarbeitende keine nachhaltigen Entscheidungen treffen. Tennakoon et al. (2025) befragten Architekt:innen, Ingenieur:innen und Bauleiter:innen in Australien, warum sie kaum recycelte Baumaterialien verwenden, obwohl sie diese grundsätzlich positiv bewerten. Die Antwort: Der organisatorische Kontext lässt es oft nicht zu. Materialfreigaben dauern zu lange, Standards fehlen, das Risiko für individuelle Fehlentscheidungen ist hoch. Diese Dynamik bestätigten auch viele meiner Interviewpartner:innen: Die Motivation zur Entwicklung zirkulärer Modelle war hoch, getragen von einem persönlichen Verantwortungsgefühl. Doch sobald es an die Umsetzung ging, traten strukturelle Hürden in den Vordergrund: fehlende Standards, unklare Haftungsfragen, ineffiziente Projektlogiken. Ein Interviewpartner formulierte es so: „Wir wollen ja ändern, aber das System rechnet nicht mit uns.“

Gleichzeitig zeigen einzelne Gespräche mit Interviewpartner:innen, dass Haltung und Kontext durchaus zusammenfinden können – wenn Geschäftsmodelle bewusst anders gedacht werden. So wurde etwa beschrieben, wie ein Immobilienentwickler bei der Konzeption eines Handelsgebäudes Rücknahmevereinbarungen für Fassadenelemente ins Projekt integrierte und langfristige Instandhaltungsszenarien plante. Entscheidender Hebel war nicht nur die Überzeugung für zirkuläres Wirtschaften, sondern die Bereitschaft, neue Verwertungslogiken mit wirtschaftlicher Tragfähigkeit zu verbinden. „Wenn man den Mut hat, mit einem weißen Blatt zu beginnen.“ Haltung allein hätte nicht ausgereicht – aber mit der richtigen Projektlogik wurde nachhaltiges Verhalten möglich. 

Was bedeutet das für Unternehmen der Bauwirtschaft?

Die Baubranche ist ein komplexes Geflecht aus Routinen, Zuständigkeiten und Zwängen. Projektlogik dominiert, Budgets sind knapp, Deadlines hart. Genau deshalb lohnt sich der Blick durch die ABC-Brille. Denn wer wirklich nachhaltiger wirtschaften will, muss über Technik und Produkte hinausdenken – hin zu Strukturen, die nachhaltiges Verhalten ermöglichen. Tennakoon zeigt: Bauprofis vermeiden innovative Materialien nicht aus Desinteresse – sondern weil sie in einem System arbeiten, das Risiko scheut, Informationen schlecht verteilt und Verantwortung nicht teilt. Viele Entscheidungen fallen nach dem Prinzip: „Was hat schon mal funktioniert, ohne dass es Ärger gab?“

Diesen Eindruck bestätigten auch viele der Interviewpartner:innen in meiner Masterarbeit [4]. Immer wieder wurde deutlich, wie sehr Nachhaltigkeitsziele in der frühen Projektphase formuliert – aber auf dem Weg zur Umsetzung zerlegt werden: durch Zuständigkeitsdiffusion, Informationsverluste und Zeitdruck. Besonders prekär ist dabei das mangelnde Zusammenspiel zwischen Planung, Ausführung und Betrieb. Nachhaltige Optionen bestehen häufig – aber niemand fühlt sich zuständig, sie zu ermöglichen. Ein Planer brachte es auf den Punkt: „Der Auftrag war Abriss, nicht: Schau mal, dass du was retten kannst.“ Rückbau wird noch immer als technischer Schlussakt betrachtet – nicht als zirkulärer Anfang. Obwohl viele Bauteile technisch wiederverwendbar wären, fehlen Planungslogiken, Vertragsmuster und Verantwortungsstrukturen. Die Lehre daraus: Nachhaltigkeit ist kein individuelles Problem, sondern eine Frage des organisationalen Kontextes. Solange Planungsprozesse linear, Rollen diffus und Kooperationen instabil bleiben, können selbst ambitionierte Akteur:innen kaum etwas verändern.

Hebel, um Verhalten zu ermöglichen

Wenn Verhalten das Ziel ist, braucht es mehr als Haltung. Was daraus folgt, zeigen sowohl meine Interviews als auch die Analyse von Tennakoon: Nachhaltigkeit gelingt dort, wo vier strukturelle Hebel bewusst eingesetzt werden.

  • Erstens braucht es Räume zum Handeln. Viele gute Ideen scheitern nicht am Willen, sondern daran, dass sie nirgendwo „hinpassen“. Prototypen, Reuse-Strategien oder zirkuläre Konzepte finden keinen Anknüpfungspunkt im Projektablauf. „Es gab keine Stelle im Prozess, wo das vorgesehen war“, hieß es mehrfach.
  • Zweitens müssen systemische Barrieren abgebaut werden. Dazu gehören unklare Zuständigkeiten, überregulierte Prüfverfahren oder definitorische Hürden – etwa wenn Reuse-Bauteile als Abfall gelten, obwohl sie technisch einwandfrei sind. So wird Wiederverwendung zur Ausnahme, nicht zur Norm.
  • Drittens braucht es eine Kultur, die Mut belohnt. Wer sich traut, neue Wege zu gehen, sollte nicht auf Widerstand und Rechtfertigungsdruck treffen. Doch genau das passiert oft. Tennakoon zitiert Planer:innen, die lieber beim Bewährten bleiben, aus Angst, verantwortlich gemacht zu werden. Auch in meinen Gesprächen war Resignation spürbar, wenn Engagement folgenlos blieb.
  • Und viertens muss Widerspruch zugelassen werden. Nachhaltigkeit ist selten bequem. Sie braucht Reibung, Perspektivenvielfalt und Diskussion. Doch in vielen Organisationen werden kritische Stimmen eher als Störung empfunden denn als Impuls. Gerade innovative Denkansätze scheitern nicht selten an Kommunikationskulturen, nicht an ihrer Substanz.

Haltung UND Kontext  

Die Debatte um Nachhaltigkeit krankt oft daran, dass sie sich zu sehr auf Absichten verlässt. Doch nachhaltiges Verhalten ist kein Zufallsprodukt – es ist gestaltbar. Wer Haltung ernst meint, muss auch den Kontext in den Blick nehmen. In der Bauwirtschaft heißt das: Strukturen überprüfen, Routinen hinterfragen, Entscheidungswege verkürzen. Die Ergebnisse zeigen: Die Grundlagen für zirkuläres Bauen sind vielfach vorhanden – technologisch, mental und strategisch. Was fehlt, ist ein System, das diese Potenziale strukturell verankert. Denn nur wo Haltung und Kontext zusammenkommen, entsteht das, worauf es ankommt: Wirkung.

Ein solcher Kontext entsteht nicht zufällig. Er braucht Orte der Reflexion, des Austauschs, des gemeinsamen Lernens. Als Mitglied im wir sind dran : verband erlebe ich genau das: ein Netzwerk von Menschen, die nicht nur über Nachhaltigkeit sprechen, sondern sich gegenseitig den Rücken stärken, um sie umzusetzen – in Projekten, in Organisationen, in der Branche. Denn klar ist: Die Bauwende beginnt nicht am Reißbrett, sondern im täglichen Miteinander – in der Art, wie wir entscheiden, führen, zusammenarbeiten. Haltung braucht Struktur. Und Struktur braucht Menschen, die sie gemeinsam verändern wollen. Deshalb denken wir im wir sind dran : verband nicht nur darüber nach, wie und was wir bauen – sondern auch, wie und auf welcher Basis wir arbeiten. Die Erfahrungen aus meiner Masterarbeit, aus der Praxisberatung und aus dem Verband zeigen: Transformation muss auf mehreren Ebenen zugleich ansetzen:

  • Im Projektalltag, wo nachhaltige Entscheidungen nur dann greifen, wenn Prozesse flexibel genug sind, um Alternativen zuzulassen – und Verantwortung nicht an starren Schnittstellen hängen bleibt, sondern gemeinsam getragen wird.
  • In der Organisationskultur, die nicht auf Konformität setzt, sondern auf kritisches Denken: Nur wenn Widerspruch möglich ist und neue Ideen nicht sofort in Frage gestellt werden, können nachhaltige Impulse wirken.
  • In den internen Strukturen, wo Nachhaltigkeit nicht als freiwilliges Zusatzprogramm läuft, sondern von Beginn an in Entscheidungsprozesse, Budgets und Verantwortlichkeiten eingebettet ist.
  • Im Netzwerk, weil Veränderung nie allein gelingt. Erst durch kontinuierlichen Austausch, geteilte Erfahrungen und kollektives Lernen entsteht die Kraft, systemisch zu wirken – über das eigene Projekt hinaus.

Der wir sind dran : verband vernetzt genau diese Ebenen. Denn wir sind uns einig: Die Bauwende endet nicht an der Bürotür – dort beginnt sie.


Literatur

[1] Krohn, P. (2025) Wie rechtliche Reformen den Bau nachhaltiger machen könnten. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. September 2025. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/recyling-auf-dem-bau-wie-reformen-den-bau-nachhaltiger-machen-koennten-accg-110669142.html

[2] Stern, P. C. (2000) Toward a coherent theory of environmentally significant behavior. Journal of Social Issues, 56 (3), 407–424.

[3] Tennakoon, G. A., Rameezdeen, R., & Chileshe, N. (2025) Understanding the Limited Uptake of Reprocessed Construction Materials: A Pro-Environmental Behaviour Perspective. Sustainable Development, 1–17. 

[4] Herrmann, E. (2025) Kreislaufwirtschaft als Innovationstreiber in der Bauwirtschaft:
Identifikation und Bewertung von Treibern und Hemmnissen für nachhaltige Geschäftsmodelle am Beispiel ausgewählter Bauelemente.
Unveröffentlichte Masterarbeit.


Autorin

Eva Maria Herrmann
Dipl.-Ing. Architektin und freie Journalistin mit einem MBA in Sustainability Management
Vorständin des wir sind dran : verband für Nachhaltigkeitsmanagement im Bauwesen e.V.
verband@wirsinddran.jetzt
www.wirsinddran.jetzt/verband

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