Mehrgeschossig mit Stroh: Gemeinschafts­wohnprojekt querbeet

Urbanes Bauen in Gebäudeklasse 4 mit Stroh, Holz und Lehm

Sechs Beteiligte berichten über eine Anfang 2024 in Lüneburg fertiggestellte Wohnanlage (Bild 1). Das Projekt querbeet besteht aus zwei viergeschossigen, strohgedämmten und mit Lehm und Kalk verputzten Holzbauten. Der Architekt gibt Einblicke in die Hintergründe der Bauweise und erläutert Entwurf und Herangehensweise. Der Projektorganisator gibt Einblicke in seine Arbeit mit Baugruppen. Eine Vertreterin der Baugemeinschaft querbeet beschreibt, warum zu beispielhafter und gelebter Nachhaltigkeit heute nicht nur nachwachsende Rohstoffe, sondern auch Bauen in Gemeinschaft und nicht zuletzt ein naturnaher, standortangepasster trockenresistenter Garten gehören. In Abschnitt 3 – Mehrgeschossiges Bauen mit Stroh, Holz und Lehm – kommen Fachexperten aus Brandschutz sowie Tragwerksplanung und Schallschutz zu Wort. Der Projektleiter berichtet über den herausfordernden Umsetzungsprozess dieser ungewohnten Bauweise. Eine ökobilanzielle Einordnung rundet den Beitrag ab.

1 Mit Anlauf: Stroh

Geht das auch hoch hinaus? Diese Frage beschäftigt den Lüneburger Architekten Dirk Scharme r schon ein Weilchen. 2005 hatte er im Ökodorf Sieben Linden das erste dreigeschossige strohgedämmte Wohnhaus geplant, welches mit Blick auf seine Beispielhaftigkeit für den urbanen Raum von den Macher:innen Strohpolis getauft wurde [1] (Bild 2).

Drei Jahre zuvor, im Jahr 2002, hatte er am gleichen Ort mit weiteren Strohbaubegeisterten den gemeinnützigen Fachverband Strohballenbau Deutschland e. V. (FASBA) gegründet [2]. Warum? Zu diesem Zeitpunkt war es quasi nicht möglich, mit Stroh zu bauen, es fehlten Nachweise an allen Ecken. „Das brennt doch, das schimmelt doch, da gehen die Mäuse rein“, so die Vorurteile in vielen Amtsstuben und nicht nur dort. Das schreckte die damaligen Beteiligten nicht, hatten sie doch schon 1999 das erste behördlich genehmigte strohgedämmte, mit Lehm direkt verputzte Einfamilienhaus durchgebracht – mit allerlei Vorsichtsmaßnahmen: So wurde in der Zustimmung im Einzelfall damals z. B. noch ein 6 cm starker Putz gefordert, zur Abwehr der Risiken des vermeintlich leicht entflammbaren Materials.

Pünktlich zur Planung von Strohpolis war man 2005 dank FASBA e. V. und etwas Fördergeld vom Bund schon weiter: die Wärmeleitfähigkeit war gemessen, die Brennbarkeit bestimmt und sogar der Feuerwiderstand im verputzten Zustand erfolgreich getestet. Nach der hart erarbeiteten Zustimmung im Einzelfall für den ersten Dreigeschosser in Deutschland in dieser Bauweise stand einer erfolgreichen Ausführung nichts mehr im Wege. Weitere Jahre Forschung und Entwicklung folgten, noch mehr Prüfungen, Tests, Gutachten, Stellungnahmen. 2006 die erste, noch stark eingeschränkte bauaufsichtliche Zulassung als ausfachender normalentflammbarer Dämmstoff. 2014 endlich der Durchbruch: Mit Vorliegen der Europäischen technischen Bewertung ETA-17/0247 [3] war es nun möglich, Außenwände mit Strohballen vom Acker nebenan so zu bauen wie gewünscht: direktverputzt ohne zusätzliche Überdämmungen, Verkleidungen und ohne zusätzliche Dampfbremse. Und ein allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis steht als Verwendbarkeitsnachweis nach DIN 4102-2 zur Nutzung bereit, dazu muss die Strohwand mit nur 8 mm Lehmputz/Kalkputz verkleidet werden [4]. Der regulären Anwendung als tragende Außenwand in Gebäudeklasse 3 steht nichts mehr im Weg.

Höher und urbaner: Auch bei dem nächsten Pionierprojekt war Architekt Scharmer dabei. Im niedersächsischen Verden an der ­Aller gelang 2015 mit den Architekten für Nachhaltiges Bauen aus Verden nach vorgeschalteter Forschung und Entwicklung und umfangreicher Förderung ein Leuchtturm. Seither steht dort das Norddeutsche Zentrum für Nachhaltiges Bauen mit seinen fünf strohgedämmten Geschossen, seinerzeit das höchste rein strohgedämmte Gebäude in Deutschland [5] (Bild 3).

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