Nachhaltiges Bauen – vom Trend zur ­Bauwende

Es sind Zeiten, in denen auf der Weltbühne globale Fortschritte fundamental in Frage gestellt und Grundregeln unseres Zusammenlebens zu Trends erklärt werden. Daher möchte ich mit einer Festlegung beginnen: Nachhaltigkeit ist mehr als nur ein Trend. Es ist unser gemeinsames Versprechen an kommende Generationen.

Andreas SchwarzMdL (Quelle: Annette Kosakowski)
Andreas SchwarzMdL (Quelle: Annette Kosakowski)

Das nachhaltige Bauen ist dabei ein wesentlicher Aspekt. Mindestens 30 % aller CO2-Emissionen und 50 % des Müllaufkommens stammen aus der Bau- und Gebäudebranche: Das sind immense Dimensionen. Aber auch ein starker Auftrag: Hier können wir richtig viel bewegen.

„Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.“ Ein Ausspruch, der dem Physiker Nils Bohr zugerechnet wird – und dem hier nicht widersprochen werden soll. Eine Prognose erscheint dennoch relativ einfach: Wenn wir unser gemeinsames Versprechen nicht halten, werden kommende Generationen mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert sein. Das zeigt die Datenlage bereits heute. Ein Forscherteam um Maximilian Kotz vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat die Auswirkungen täglicher Temperaturschwankungen, also der kurzfristigen Variabilität auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum, berechnet: Erhöht sich diese Variabilität um 1° C, reduziert sich das Wirtschaftswachstum durchschnittlich um fünf Prozentpunkte [1]. Und das ist nur die wirtschaftliche Perspektive, natürlich treffen uns die Herausforderungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.

Die Bau- und Gebäudebranche ist Sorgenkind und Lichtblick zugleich: Wo viel CO2 emittiert wird, kann viel CO2eingespart werden. Gleichzeitig ist die Branche fundamental: Ein passendes und bezahlbares Zuhause ist – wortwörtlich – das Fundament für ein gutes Leben. Entsprechend häufig wird die Wohnungspolitik in Bevölkerungsumfragen als besonders prioritär benannt, kaum ein Thema wird von den Bürgerinnen und Bürgern so kontinuierlich als besonders wichtiges Politikfeld bewertet. Für mich als Politiker sind die Bürgerinnen und Bürger Auftraggeber. Daher stehen wir vor einer doppelten Herausforderung: Die Emissionen im Bau- und Gebäudebereich müssen gesenkt werden. Nach Vorgaben der EU muss der durchschnittliche Primärenergieverbrauch von Wohngebäuden bis 2030 um 16 % und bis 2035 um 20 bis 22 % gesenkt werden, damit auch kommende Generationen noch eine Zukunft haben. Gleichzeitig ist die aktuelle Situation auf dem Wohnungsmarkt angespannt, immer mehr Menschen tun sich schwer, eine passende und für sie bezahlbare Wohnung zu finden. Ums Bauen kommen wir daher nicht drumherum.

In Baden-Württemberg stellen Bündnis 90/Die Grünen seit knapp 15 Jahren den Ministerpräsidenten. Mittlerweile ist Winfried ­Kretschmann der Landesvater, der auf die längste Regierungszeit in Baden-Württemberg zurückblicken kann. Auch für den Bau- und Gebäudesektor haben wir in dieser Zeit viele Weichen gestellt. Die aktuelle Legislaturperiode steht seit Beginn unter dem Zeichen „Bezahlbares Wohnen, Innovatives Bauen“. Dafür gibt es den gleichnamigen Strategiedialog des Ministerpräsidenten. Über 200 Expertinnen und Experten aus der Bau- und Wohnungswirtschaft sitzen seither an dem sprichwörtlich gemeinsamen Tisch, weniger um zu sprechen, sondern vielmehr um zu handeln. In Heidelberg beispielsweise forschen die Technische Universität München (TUM) und die Gesellschaft für Grund- und Hausbesitz mbH (GGH) Heidelberg im Rahmen des Strategiedialogs an minimalinvasiven Sanierungsansätzen für den Wohnungsbaubestand. Sieben baugleiche Häuser dienen als Forschungsgegenstand, unterschiedliche Sanierungsmaßnahmen werden umgesetzt, die Energieverbräuche vor und nach der Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen werden beobachtet. Durch den Vergleich zwischen dem in der Planungsphase prognostizierten und dem im tatsächlichen Betrieb gemessenen Energieverbrauch wird deutlich, welche Art der Sanierung besonders zielführend ist [2].

Auch die Landesbauordnung haben wir in Baden-Württemberg auf den Weg zu einer echten Umbauordnung gebracht, denn im Bestand spielt die Musik. Erst im Frühsommer dieses Jahres traten die neuesten Änderungen in Kraft und wurden aus der Branche sehr positiv kommentiert. Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg, äußerte beispielsweise: „[W]enn wir Bestand aktivieren wollen, dann sind die Schritte in der LBO genau richtig.“ Der Weg ist jetzt frei für leichteres Aufstocken, Umbauen und Umnutzen. Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V. (Arge Kiel) hat berechnet, dass durch den Umbau und die Umnutzung leerstehender Büroflächen kurzfristig etwa 235.000 Wohnungen in innerstädtischen Bereichen in Deutschland geschaffen werden können. Die bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen haben wir in Baden-Württemberg dafür geschaffen.

Politisch lenken bedeutet auch, Anreize zu schaffen. So fördern wir den sozial-orientierten Wohnungsbau in Baden-Württemberg mit einer Rekordsumme von über einer Milliarde Euro im aktuellen Doppelhaushalt. Neben der sozialen ist auch hier die ökologische Nachhaltigkeit aus grüner Perspektive zentral. Und so gibt es für die Flexibilisierung von Grundrissen beispielsweise einen Förderbonus, damit sich Gebäude mit unseren Bedürfnissen wandeln können. Mit der Städtebauförderung haben wir allein in den letzten vier Jahren 261 Ortsmitten und Quartieren in Baden-Württemberg ein Update ermöglicht und sie besser an den Klimawandel angepasst. Wir haben überall im Land Flächenmanager eingesetzt, die vor Ort dafür sorgen, dass Brachflächen besser genutzt werden. Wir fördern den Einsatz von Recycling-Beton und haben den Lehmbaupreis ausgelobt, um auf die breite Palette ressourcenschonender Baustoffe aufmerksam zu machen.

Das war nicht alles und – vor allen Dingen – ist nicht alles. Wir haben noch einen Weg vor uns. Das Ziel ist klar: Gebäude, die nicht nur schön und funktional sind, sondern auch unsere Verantwortung gegenüber kommenden Generationen spiegeln. Städte und Gebäude, die nicht nur heute, sondern auch morgen noch lebenswert sind. Und die mit unseren Bedarfen und Bedürfnissen wachsen und sich wandeln. Architektur, die Gewesenes hinterfragt und Zukünftiges möglich macht.

Dabei ist die Politik gefragt, aber auch die Gesellschaft, alle Akteure des Bauens und Wohnens und jeder Einzelne. Denn Nachhaltigkeit ist kein Trend und kein Nischeninteresse, sondern der Weg in die Zukunft.

Und dieser Weg wird beschritten. Unternehmen, Start-ups, Handwerk und Forschung zeigen deutlich, wie wir die Bauwende meistern können. Von Bausteinen aus Kalamitätsholz, Bitumen aus Cashewnussschalen und Bodenplatten aus Altglas-Recycling über Flachsfaser-Brücken, die kreislauffähig gemacht werden, zu Windtürmen zur Kühlung öffentlicher Räume. Diese und weitere Ansätze demonstrieren, wie nachhaltiges Bauen geht.

Klar ist: Es braucht die Umsetzung nachhaltiger Ansätze in der Fläche, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Lassen Sie uns kurz betrachten, wie weit wir auf unserem Weg dabei schon gekommen sind.

Mathematisch sind wir bei etwa einem Drittel des Weges seit 1990. Im Jahr 2023 wurden ca. 31 % weniger CO2 emittiert als 1990. Politisch sind wir dagegen schon viel weiter. Wir haben mittlerweile Gesetze und preisliche Maßnahmen, die uns zur Klimaneutralität führen werden. Und wir haben ein gestärktes gesellschaftliches Bewusstsein. Technisch stehen wir irgendwo dazwischen: Photovoltaik-Anlagen und Batterien sind heute im Vergleich zu 1990 deutlich günstiger in der Anschaffung – und das bei viel höherer Leistungsfähigkeit. Und trotzdem ist hier sogar mit weiteren Fortschritten zu rechnen.

Der Gebäudebereich steht derzeit bei einer Einsparung von 33 % CO2, unser Ziel bis 2030 ist 50 %. Und das ist in Baden-Württemberg tatsächlich erreichbar, denn wir haben viele Hebel in Bewegung gesetzt:

Den Booster für Erneuerbare Energien haben wir umgesetzt. Durch die Wärmeplanungspflicht in unserem Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz (KlimaG) sind die Kommunen in Baden-Württemberg bei ihrer Wärmeplanung schon sehr weit. Jetzt haben wir das KlimaG novelliert, damit die Umsetzung der Wärmepläne auch schnell finanziert ist. Durch den Ausbau von Photovoltaik-Anlagen auf Dächern haben wir die Leistung aus diesem Energieträger seit 2020 verdoppelt – die Gesamtleistung aller Photovoltaik-Anlagen haben wir von 6,82 GWp in 2020 auf 12,94 GWp in 2025 erhöht. Wir haben die nachhaltige Nutzung von Ressourcen und Materialien auf unsere Agenda geschrieben. Durch einen bewussteren Umgang mit der endlichen Ressource Boden haben wir beispielsweise den täglichen Flächenverbrauch für Siedlung und Verkehr in Baden-Württemberg in den letzten 20 Jahren halbiert.

Klar wird durch dieses Portfolio: Es ist nicht die eine Maßnahme, die uns zur Klimaneutralität führt, und es ist nicht der Einzelne, der die Bauwende stemmt. Es braucht Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, es braucht uns alle: Packen wir‘s an!


Literatur

  1. Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (2021) Von Tag zu Tag schwankendes Wetter bremst die Wirtschaft [online]. Potsdam: PIK. https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/klimawandel-wechselndes-wetter-bremst-die-wirtschaft
  2. Technische Universität München (2024) Einfach sanieren — Entwicklung unterschiedlicher Sanierungsstrategien zum Erreichen der CO2-Neutralität der GGH Gebäude im Pfaffengrund, Heidelberg [online] München: TUM. https://www.sdb-bw.de/wp-content/uploads/2024/06/Zwischenbericht_EinfachSanieren.pdf

www.gruene-landtag-bw.de


Autor:in

Andreas Schwarz MdL, Andreas.Schwarz@gruene.landtag-bw.de
Fraktionsvorsitzender der Grünen Fraktion im Landtag Baden-Württemberg
www.gruene-landtag-bw.de

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