wir sind dran

Eine faire und gesunde Bauwelt – dank aller

Die Bauwende ist kein Plan, den man einmal zu Papier bringt und dann nur noch abarbeitet. Sie ist eine große Baustelle unserer Gesellschaft – eine Baustelle, auf der wir alle gebraucht werden. Wer schon einmal auf einer echten Baustelle war, weiß: Nur wenn Gewerke ineinandergreifen, Termine abgestimmt sind und alle am selben Ziel arbeiten, entsteht am Ende ein funktionierendes Gebäude. Genau so verhält es sich mit der Bauwende. SDG 17, das Nachhaltigkeitsziel für Partnerschaften, bringt es auf den Punkt: Zusammenarbeit ist kein Zusatz, sondern das Fundament.

Ich habe in den letzten Jahren immer wieder erlebt, wie viel entstehen kann, wenn Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen zusammensitzen: Architekt:innen neben Ingenieur:innen, Vertreter:innen aus der Kommunalpolitik neben Investor:innen, Studierende neben erfahrenen Planer:innen. Oft kommen wir mit verschiedenen Ideen – und gehen mit einem gemeinsamen Plan auseinander. Für mich ist das gelebte Transformation. Und es zeigt: Wenn wir Mut haben, Wissen zu teilen, anstatt es für uns zu behalten, gewinnen wir alle.

SDG 17: Gemeinsam handeln

Die Fakten sind eindeutig: Jährlich werden in Deutschland über 500 Millionen Tonnen Sand und Gestein abgebaut – rund 44 Kilo pro Person und Tag. Allein an Sand verbauen wir jedes Jahr das Äquivalent von 800 Millionen Badewannen. Gleichzeitig fallen 7,3 Tonnen Bauschutt pro Sekunde an. Der Gebäudesektor verursacht rund 40 Prozent der CO₂-Emissionen. Würde man Zement als Land zählen, stünde es weltweit auf Platz fünf der größten Emittenten.

Diese Zahlen mögen erschreckend wirken, doch sie sind für mich vor allem ein Weckruf. Sie zeigen, dass wir handeln müssen – und dass wir es können. Denn wenn ein Sektor einen so großen Anteil an den Emissionen hat, besitzt er gleichzeitig auch das größte Potenzial für Einsparungen. Jede eingesparte Tonne CO₂, jeder vermiedene Kubikmeter Abfall und jede wiederverwendete Ressource bringt uns der Bauwende näher.

Zeitgleich ist Wohnen heute in Deutschland eine Frage von Wohlstand und Gerechtigkeit – und damit eine Herausforderung für unsere Demokratie. Über 15 % der deutschen Haushalte geben mehr als 40 % ihres monatlichen Einkommens für die Miete aus. Die Bau- und Wohnkrise sind Teil des gleichen Problems. Es braucht ganzheitliche Maßnahmen, die zukunftsfähiges Bauen und soziales Wohnen zusammen denken.

Deshalb bin ich Teil der Bauwende Allianz, einer breiten und bundesweiten Bewegung von 230+ Transformationsgesalter:innen, die sich für einen klimapositiven und sozialgerechten Bau- und Wohnsektor in Deutschland engagieren.

Die Bauwende Allianz: Kooperation mit Wirkung

Ein Beispiel für gelingende Partnerschaft ist die Bauwende Allianz. Über 230 Organisationen, Unternehmen und engagierte Einzelpersonen bündeln dort als Transformationsgestalter:innen ihre Kräfte, um den Bau- und Wohnsektor klimapositiv und sozial gerecht zu transformieren. Der wir sind dran : verband ist seit 2025 Teil dieses Netzwerks – und ich bin stolz darauf.

Was mich an der Allianz beeindruckt, ist die Haltung: Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit werden nicht gegeneinander ausgespielt. Bezahlbarer Wohnraum und klimafreundliches Bauen sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. In Workshops, Retreats und Arbeitsgruppen wird nicht nur über Leitbilder gesprochen, sondern ganz konkret an Strategien, Pilotprojekten und politischen Impulsen gearbeitet.

Gerade aktuell zeigt sich, wie wichtig das ist: Gemeinsam mit Bauhaus Erde hat die Allianz zwölf Thesen zur Umsetzung der neuen EU-Gebäudeverordnung entwickelt. Diese rückt die Begrenzung von Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes ins Zentrum. Für Industrie, Kommunen und Wirtschaft bedeutet das Klarheit – und die Möglichkeit, frühzeitig zu planen und zu investieren.

Für mich persönlich war es inspirierend, die ersten Diskussionen zu diesen Thesen zu erleben. Es war spürbar, wie sehr Akteur:innen aus ganz unterschiedlichen Bereichen an einem Strang ziehen, wenn es darum geht, Orientierung zu schaffen. Und es wurde deutlich: Die Bau- und Wohnungskrise, die Klimakrise und die Ressourcenkrise sind untrennbar miteinander verbunden. Sie lassen sich nur gemeinsam lösen.

Stimmen, die Mut machen

Besonders ermutigend sind die Stimmen aus der Praxis. Dominik Campanella, Mitgründer von Concular und BAUM-Preisträger, bezeichnet CO₂-Grenzwerte nicht als Bedrohung, sondern als „historische Chance“. Deutschland könne damit einen neuen Markt für wiederverwendbare Baustoffe aufbauen und europaweit führend werden. Für ihn bedeutet die verpflichtende Bilanzierung grauer Emissionen einen Paradigmenwechsel: „Der Bestand wird zum Rohstofflager, Architektur wird kreativer und zirkulärer. Wir denken nicht mehr in Abfall, sondern in Materialwerten.“

Solche Sätze machen mir Hoffnung. Sie zeigen, dass die Transformation nicht nur Verzicht bedeutet, sondern neue Möglichkeiten eröffnet: neue Geschäftsmodelle, neue Arbeitsplätze, neue Kreativität.

WIA Festival: Begegnungen, die bleiben

Ein weiteres Beispiel für die Kraft von Netzwerken ist das WIA – Women in Architecture Festival, das 2025 erstmals bundesweit stattfand. Zehn Tage voller Begegnungen, Diskussionen und neuer Perspektiven.

Wir vom wir sind dran : verband haben uns mit drei Regionalgruppen beteiligt – mit Filmabenden, Führungen, Stadtspaziergängen, Paneldiskussionen und WortBauereien. Besonders schön war für mich zu sehen, wie hier fachlicher Austausch und persönliche Geschichten nebeneinander Platz fanden. Viele Begegnungen führten zu Kooperationen, die längst über das Festival hinaus wirken.

Und auch hier gilt: Sichtbarkeit ist kein Selbstzweck. Sie ist ein Hebel. Denn nur wenn unterschiedliche Stimmen gehört werden, entsteht die Vielfalt an Ideen, die wir für die Bauwende brauchen.

Resilienz im Wandel

Natürlich gibt es Momente, in denen ich mich frage, ob unser Engagement reicht. Wenn Gesetze auf Eis gelegt oder Klimaziele verwässert werden, kann das ernüchternd sein. Aber jedes Retreat, jedes Projekt, jede gelungene Kooperation zeigt mir: Dranbleiben lohnt sich.

Netzwerke wie die Bauwende Allianz geben nicht nur fachliche Orientierung, sie geben auch Halt. Sie verbinden Wissen mit Mut, Haltung mit Handlung. Oder, wie meine Vorstandskollegin Petra Ronzani es formuliert hat: „Zusammen geht mehr – weil Mut verteilbar ist.“

Ein Blick nach vorn

Was wäre, wenn wir in zehn Jahren zurückschauen und feststellen, dass wir die Bauwende verschlafen haben? Wir würden nicht nur höhere Emissionen, mehr Abfall und steigende Kosten beklagen. Wir hätten auch Chancen verpasst: innovative Materialien, neue Märkte, bessere Lebensqualität.

Und was wäre, wenn wir jetzt entschlossen handeln? Dann könnten wir zeigen, dass nachhaltiges Bauen nicht Verzicht bedeutet, sondern Lebensqualität gewinnt: gesündere Gebäude, bezahlbarer Wohnraum, lebendige Städte, weniger Abhängigkeit von endlichen Rohstoffen. Genau dafür lohnt es sich, die Ärmel hochzukrempeln.

Unser Ziel: Eine faire und gesunde Bauwelt – dank aller

Ob in der Bauwende Allianz, beim WIA Festival oder in vielen kleineren Initiativen: Wir arbeiten daran, dass nachhaltiges Bauen und gerechtes Wohnen Hand in Hand gehen. Die Bauwende braucht Orientierung, Dialog und den Mut, voneinander zu lernen. SDG 17 erinnert uns daran: Partnerschaften sind nicht die Kür, sie sind die Grundlage.

Ich bin überzeugt: Wenn wir gemeinsam dranbleiben, können wir eine faire und gesunde Bauwelt schaffen – und vielleicht schneller, als wir heute glauben. Wir sind dran. Jetzt.


Autor:in

Kathrin Albrecht, verband@wirsinddran.jetzt
Vorstandsvorsitzende wir sind dran : verband für Nachhaltigkeits­manage­ment im Bauwesen e. V., Hannover
www.wirsinddran.jetzt

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