Durch-Bruch als Aufbruch

Die „Twins in the Park“ nutzen einen Düsseldorfer Büroriegel auf pionierhafte Weise um

Das Düsseldorfer Seestern-Quartier ist eine monofunktionale Bürostadt. Dort brechen die „Twins in the Park“ von caspar. einen massiven Büroriegel in der Mitte auf. Die spektakuläre Bestands­umnutzung will nicht nur neues Wohnen und neues Quartiersleben ermöglichen, sondern auch Teil und Motor eines Paradigmen­wechsels werden.

1 Aufstieg und Fall der Bürostädte. Düsseldorfer Seestern und Twins in the Park

Möglicherweise hat man Le Corbusier ein bisschen Unrecht getan. Die Trennung städtischer Funktionen im urbanen Raum –Corbusier zählt auf: Wohnen, Arbeiten, Erholung, Verkehr – wird gerne als sein unheiliges Erbe gesehen und auf seine berüchtigte „Charta von Athen“ von 1943 zurückgeführt. Die ebenso berüchtigte „autogerechte Stadt“ beispielsweise, die uns heute nach wie vor und mehr denn je Probleme bereitet, wird mindestens als indirekte Folge der Charta gesehen, die – wie Luthers an die Wittenberger Kirchentür genagelte Streitschrift – aus 95 Thesen besteht.

Aber, Überraschung, These 42: „Connections between dwelling and place of work are no longer reasonable: they impose excessively long journeys to work“ [1]. Oder These 46: „Distances between work places and dwelling places should be reduced to a minimum” [1]. Das klingt nicht nach einem Manifest für die autogerechte Stadt. Oder: „Workshops, which are intimately related to urban life, and indeed derive from it, should occupy well designed areas in the interior of the city“ [1] (49). Und Büroareale sollten (50) mit Wohngebieten zumindest gut vernetzt sein („good communications“) [1]. Hat man das, was vielleicht eher als eine gedankliche Trennung städtischer Funktionen gedacht war, als konkrete, baulich-räumliche missverstanden? Immerhin spricht Le Corbusier von „a functioning urban unity in all its different parts“ [1] (These 83). Am Ende ging es ihm um die Einheit des Ganzen und nicht um die Vielheit der Teile.

Im Städtebau der Nachkriegszeit war es zu oft umgekehrt. Es ist nicht so, dass nicht gewarnt wurde. Wolf Jobst Siedler beklagte 1964 in „Die gemordete Stadt“: „das Verlöschen des eigentlich Städtischen, das von Babylon bis zum kaiserzeitlichen Berlin durchhielt und ein besonderes Wohngefühl, nämlich: das emotionale Stadterlebnis, möglich machte“ [2]. Es sei, postulierte er, nicht der Krieg, sondern der Friede gewesen, der deutsche Städte zerstört habe [2].

Ein Jahr später schilderte Alexander Mitscherlich in äußerst lesenswerter (und bisweilen bedrückend aktueller) Weise „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“. Beide Autoren blieben Kassandras. Es ist eine seltsame Tatsache des deutschen Nachkriegsstädtebaus, dass beide Bücher Bestseller und breit rezipiert wurden – und dennoch weitgehend folgenlos blieben. Erst spät, zu spät, in der Nach-Nachkriegszeit, begannen wir offensichtlich, das Problem zu begreifen. In der ZEIT hieß es 1996: „Die klassischen Funktionen der Stadt, sie sind entweder verschwunden oder delegiert – und damit sind sie delokalisiert. Heute haben wir Wohnstädte und Einkaufszentren, Gewerbegebiete und Bürostädte. Aber wo ist die Stadt?“ [3].

Vier Jahre später sagte die SPD-Abgeordnete Angelika Mertens im Bundestag: „Räumliche Trennung von Wohnen, Leben und Arbeiten, Einkaufszentren am Rande der Stadt, Schlafstädte, Zersiedelung und immer mehr Verkehrswege sind das Erbe, mit dem wir heute umgehen müssen“ [4]. Umgehen muss man auch mit der Tatsache, dass der Satz 25 Jahre später nicht viel und nicht genug von seiner Gültigkeit verloren hat. Die Bürostadt ist übrigens nicht das Gegenteil der Schlafstadt, sondern das Gegenstück. Lebendig sind beide nicht, weil sie nur eine einzige Funktion haben. Es sind schlimmstenfalls Menschenbehälter, von denen der eine nur tagsüber mit Menschen gefüllt ist und der andere nur abends/nachts. Alles gerne vollversiegelt und total autogerecht.

Das Düsseldorfer Seestern-„Quartier“ ist vor genau diesem städtebaulich-geschichtlichen Hintergrund zu betrachten. Allerdings gelingt dem Areal das Kunststück, Büro- und Schlafstadt zugleich zu sein. Es ist voller fetter Büroriegel – aber auch voller großer Hotels (sechs, Gesamtbettenanzahl ca. 1500), die man von jenen nicht immer und nicht sofort unterscheiden kann. „Aber wo ist die Stadt?“ In Deutschland ist die Häufung der monolithisch-monofunktionalen Architektur, die den Seestern dominiert (bzw. bildet), in solcher Dimension zwar gar nicht so häufig. (Tatsächlich findet man in Deutschland nicht mehr als vielleicht zehn solcher, nun, Agglomerationen.) Doch das städtebauliche Paradigma, das vor 50 bis 60 Jahren populär war und dem sie ihre Existenz verdankt, ist in seinen Manifestationen bis heute ubiquitär. Es war von Prämissen geleitet, die zu unseren heutigen geradezu konträr sind. Die Aufgabe, speziell solche Strukturen zu transformieren, ist in diesem Sinne also auch immer symbolisch aufgeladen: Es gilt, mit obsoleten städtebaulichen Traditionen zu brechen, überkommene Paradigmen zu durchbrechen und zu neuen urbanen Ufern aufzubrechen. Diese Metapher – „Bruch“ und „brechen“ in diversen Varianten – haben wir bei unserem Projekt „Twins in the Park“ im Düsseldorfer Seestern wirklich ernst genommen, beim Wort nämlich.

2 Der Durchbruch als Bestandserhalt. Befreiung des Engels

Das städtebauliche Paradigma, Bestand zu erhalten und umzunutzen, sofern es sinnvoll und möglich ist, ist keineswegs überkommen, sondern gilt heute als eine der wesentlichen Leitlinien für nachhaltiges Bauen. In der Theorie klingt das natürlich richtig, aber in der Praxis stellt es sich oft als sehr schwierig dar, nicht nur baulich-technisch, sondern auch ideell-ästhetisch. Als unser Bauherr – die Epicore Investment GmbH – zu einem Ideenwettbewerb aufrief, um an der Emanuel-Leutze-Straße am Seestern Wohnbau zu realisieren, konnte man sich im ersten Moment, schaut man sich den massiven Büroriegel aus den 1970ern an, der da noch steht, abreißerischer Impulse nicht erwehren (Bild 1). Diese riesigen abweisenden Sockelbereiche. Das Monolithisch-Verschlossene. Diese diffusen Zwischenräume, diese nichtssagenden versiegelten grauen „Frei“-Räume. Und hier sollen bis zu 300 Wohnungen mit ein bis drei Zimmern entstehen?

Doch die Architektur – immerhin der „Produktionsversuch menschlicher Heimat“ [5] (Ernst Bloch) – erfordert Imagination. Was kann, wo nichts ist, werden? Sie braucht eine Begabung zu einer pragmatischen Fantasie: Was kann aus dem, was ist, werden? Etwas abzureißen, darf bisweilen angezeigt, aber niemals eine Folge von Fantasielosigkeit sein. Also übergehen wir erste Impulse und schauen ein zweites Mal, genauer, wohlwollender, fantasievoller auf den Büroriegel und stellen fest, dass einige Dinge im Bestand für eine Wohnbebauung durchaus funktionieren könnten: Bundtiefen, Terrassierung, Ausblicke, Weitblicke. Doch wie lässt sich das alles er- bzw. aufschließen?

Unsere Idee hat zwei Paten: Freddie Mercury und Michelangelo. ­Michelangelo schrieb im Jahre 1549 an einen Benedetto Varchi: „Ich verstehe unter Skulptur die Kunst, die durch Wegnehmen geübt wird, während die, die durch Auflegen arbeitet, Malerei ist“ [6]. Das Zitat kennen wenige, viele hingegen das, was daraus wurde: „Jeder Block Stein hat eine Statue in sich, und die Aufgabe des Bildhauers ist es, sie zu entdecken.“ Das Internet verkitschte das endgültig: „Ich sah den Engel im Marmor und meißelte, bis ich ihn befreite.“

Freddie Mercury schrieb: „I want to break free.“ Wir nehmen mit: „Block“, „befreien“, „wegnehmen“, „break free“. Im Block stecken zwei Zwillinge fest (oder ein siamesischer), und wir befreien (bzw.ent-decken) sie, indem wir den Block in der Mitte durchbrechen (Bild 2). Man könnte auch sagen: Indem wir seine Mitte wegnehmen.

Der echte, unmetaphorische Durchbruch ist dann auch ein kreativ-konzeptueller: Eine einzige Maßnahme ermöglicht ganz viele weitere. Die Öffnung der massiven Sockelzonen (Bild 3) schafft nicht nur im räumlich-buchstäblichen Sinne Transparenz und Durchlässigkeit sowie attraktive Gebäudetiefen für eine Wohnnutzung. Sie schafft das auch – vielleicht sogar vor allem – im symbolischen und emotionalen Sinn. Aus einem hermetischen Block wird ein lebendiges Ensemble, das eine Vielfalt von Blickbezügen bietet und sich dem Quartier zuwendet. Das hat auch mit der speziellen Form und Lage der beiden neuen Baukörper zu tun. Der Durchbruch schafft nämlich zwei L-förmige Gebäude, die auf der Vertikalachse gespiegelt scheinen (Bild 4). Zugleich entstehen zwei große, dreiecksartige Freiflächen, die sich an die Seiten der Baukörper anlehnen und die Basis jenes Parks bilden, der die Twins beherbergt. Ein fünfstöckiger Neubau ergänzt das Ensemble, komplettiert die Wohnnutzung und schafft die endgültige Innenhof-Situation (Bild 5). Das ist, kurz und blumig formuliert, das Wichtigste. Die Konzeptbeschreibung unseres Projektteams, die für den Wettbewerb entstand, klang deutlich nüchterner. (Die Texte zur Fachplanung in Abschnitt 5 stammen auch aus dieser Beschreibung.)

3 Konzeptbeschreibung

Das Projekt sieht die Umnutzung eines bestehenden Bürogebäudes am Seestern in Wohnraum vor. Die bestehende Bausubstanz bietet dabei eine flexible Grundlage: Tragwerk, Decken und Kernstrukturen können weitgehend erhalten bleiben, sodass der Umbau primär in einer gezielten Herausarbeitung der vorhandenen Qualitäten besteht.

Zentraler Eingriff ist die Reduktion des diagonalen Mittelbaukörpers, der ursprünglich als verbindendes Element fungierte, das Gebäude dadurch jedoch auch zu einer undurchlässigen Großform macht. Durch das Herauslösen dieses Bereichs entsteht aus der ursprünglich monolithischen Form eine klarere Gliederung in zwei separate Baukörper mit attraktiven Gebäudetiefen für eine Wohnnutzung.

Gleichzeitig werden die großmaßstäblichen Sockelbereiche aufgebrochen, die für Wohnnutzung ungeeignet sind, was zugleich den Blick in den Hof öffnet. Hier entsteht eine großzügige grüne Landschaft, in der die bestehenden Höhenunterschiede über eine neue, grüne Topografie (Bild 6) ausgeglichen und mit barrierefreien Wegen erlebbar gemacht werden. Auf diese Weise werden die beiden neuen Hochpunkte sowie der Neubau im Hof in einem parkartigen und öffentlichen, grünen Umfeld angeordnet, wodurch zusätzliche freiräumliche Qualitäten für den Seestern entstehen. Durch Aufstockungen (Bild 7) können die herausgenommenen Flächen funktional wieder ausgeglichen werden, ohne sich über die Maßstäblichkeit der Nachbarbebauung zu erheben.

Das Farbkonzept der Wohnbauten setzt auf Pastelltöne, die dem Ensemble inmitten von charakteristischer Architektursprache der 1960er- und 1970er-Jahre-Gebäude eine zukunftsweisende Identität schaffen.

Die Freiraumplanung spielt eine entscheidende Rolle. Die Idee ist, eine eigenständige grüne Stadtoase zu schaffen, die den zukünftigen Bewohner:innen attraktive Außenräume zum Verweilen, Begegnen und Erholen bietet. Im Zentrum steht ein leicht erhöhter Eingangsplatz, der durch sanfte Höhenmodellierung und geschwungene Wege behutsam in die Umgebung eingebettet ist. Als grüne Insel im Stadtraum vermittelt er zwischen öffentlichem Straßenraum und halböffentlichem Wohnumfeld. Der Platz entfaltet sich beim Nähern schrittweise und lädt durch eine Abfolge spannungsvoll geführter Wege und kleiner Aufenthaltsräume zur Erkundung ein.

Ein Pavillon im Zentrum des Platzes dient als Quartierstreffpunkt – offen für Bewohner:innen, Nachbarschaft und Passant:innen. Als Café und Begegnungsort stärkt er die Adressbildung des Hauses und schafft soziale Anknüpfungspunkte im bislang anonymen Quartier.

Der südliche Grundstücksbereich integriert Außenstellplätze sowie großzügige Fahrradabstellanlagen in das grüne Gesamtbild. Die Kindertagesstätte wird barrierefrei über eine separate Rampe an der Nordseite erschlossen. Eine vorgelagerte Drop-off-Zone, eine Tiefgarage mit 104 Stellplätzen, ein Fahrradkeller mit 440 Plätzen und Lademöglichkeiten sowohl für elektrobetriebene Kfz als auch Fahrräder gewährleisten ein sicheres Ankommen für Kinder, Eltern und Mitarbeitende. Umlaufende Terrassen, geschützte Außenflächen und eine eigene Spielfläche bieten Raum für Spiel und Rückzug in geschützter Atmosphäre.

Der zentrale Hof wird durch begrünte Streifen eingefasst, die Sicht- und Lärmschutz schaffen und eine klare Schwelle zwischen Innen- und Außenwelt definieren. Vielfältige Gehölzpflanzungen verstärken den Gartencharakter und unterstreichen das Konzept einer grünen Oase innerhalb des Seesterngefüges.

Alle Dächer des Projekts werden als intensiv begrünte Retentionsdächer ausgebildet – ein aktiver Beitrag zur ökologischen Aufwertung des Quartiers. Auf den Hochhäusern entstehen unter Pergolen mit integrierten Photovoltaikanlagen gemeinschaftlich nutzbare Flächen für Sport, Bewegung und soziale Aktivitäten, mit weitem Blick über die Stadt.

4 Nachhaltigkeit. Die entmordete Stadt

Wenn wir über „Twins in the Park“ sprechen, sprechen wir nicht über ein ausgearbeitetes Projekt, sondern über eine Ideenskizze. Mit ihr gewannen wir einen Wettbewerb, der als Ideenwettbewerb konzipiert war. Über nicht mehr sprechen wir. Und über nicht weniger.

Denn tatsächlich haben wir den Wettbewerb mit einer erweiterten Ideenskizze gewonnen, die schon möglichst viele Zahlen und Berechnungen anbieten wollte. Natürlich ist es zum jetzigen Zeitpunkt weder möglich noch überhaupt sinnvoll, genaue Nachhaltigkeitskennwerte im Sinne beispielsweise einer Lebenszyklusanalyse (engl.: LCA, Life Cycle Assessment) zu nennen. So ist die Zahl der Wohneinheiten (also die Zahl der Bewohner:innen) noch unklar; wie die Entwurfsideen genau umgesetzt werden, ist unsicher. Wer verbindlich sein möchte, soll nicht spekulieren.

4.1 CO2: Konstruktion

Keine Spekulation ist die Feststellung, dass allein die Menge an grauer Energie, die wir durch den massiven Bestandserhalt (inklusive der Tiefgarage) im Vergleich zu einem Neubau von ähnlicher Dimension sparen, beträchtlich ist. Die Aufstockung der Bau­körper geschieht in Holzhybridbauweise, was wiederum CO2-Emissionen in der Konstruktionsphase reduziert. Die Analyse des Bestandsumbaus zeigt, dass der CO2e-Verbrauch den DGNB-Referenzwert um 45 % unterschreitet und damit fast den oberen DGNB-Zielwert erreicht. Dabei stand der Bestandserhalt keineswegs fest.

Unsere Arbeit für den Wettbewerb begann damit, drei Szenarien durchzuspielen: 1) Abriss und Neubau, 2) maximaler Bestands­erhalt sowie 3) den Mittelweg. Wir verloren schnell die Lust am Spielen, weil wir die Idealvariante 2 wollten, auf die wir uns schnell und ausschließlich konzentrierten: Was kann/muss erhalten werden, um die von uns angestrebte Qualität zu erreichen? Welchen Mehrwert können wir durch den Bestandserhalt erzielen? Im Vergleich zu den Bestandsbauten mag der kleinere Wohn-Neubau nicht ganz so gut dastehen, erreicht aber dennoch einen überdurchschnittlichen Wert. Es sind Prognosen; die Werte können sich noch verbessern.

4.2 CO2: Betrieb

Unter idealen Umständen werden die „Twins in the Park“ sehr nah am Rand des Klimaneutralen betrieben werden können. Das liegt vor allem daran, dass sie an eine bestehende Fernwärmeversorgung angeschlossen werden können. Mehr als die Hälfte des Gesamtenergiebedarfs wird davon gedeckt. Die Stadtwerke Düsseldorf berechnen das mit einem Primärenergiefaktor von 0,29 und, tatsächlich, mit dem idealen CO2-Emissionsfaktor von 0,0 kg/kWh. Ideal wäre ferner, wenn sich alle Bewohner:innen für klimaneutral produzierten Ökostrom entscheiden würden (0,04 kg/kWh). Dann käme man auf eine CO2-Jahresemission von 1,24 kg CO2e/m²a! Realistischer ist freilich die Annahme, dass ein Strommix in die Zwillinge fließt. Dann käme man auf 11,13 kg/m²a. Ergänzend produzieren die Dach-Photovoltaikanlagen der Twins mindestens 120.000 kWh/a, das ist ein bewusst konservativ gerechneter Wert. Der erzeugte Strom wird vorrangig für den Nutzerstrombedarf innerhalb der Wohnnutzung eingesetzt und trägt damit zusätzlich zur Reduktion der Betriebsemissionen bei.

4.3 Nachhaltigkeitswert Paradigmenwechsel

Die eigentliche Nachhaltigkeitsleistung steckt aber, denken wir, nicht in Kennzahlen. Wenn die Twins ein Pionier- und Leuchtturmprojekt des nachhaltigen Bauens genannt werden können, dann liegt das daran, dass sie als Verkörperung eines Prinzips mindestens aussagekräftig, bestenfalls beispielhaft sind. Indem der Entwurf einen buchstäblichen Durch-Bruch bzw. Auf-Bruch zu seinem Zentrum macht, lässt er die Metapher, die zugleich darin steckt – den Durchbruch bzw. Aufbruch –, besonders plastisch und stark werden. Dass und wie die Twins den Paradigmenwechsel, um den es in erster Linie geht, behandeln – darin liegt ihr eigentlicher Nachhaltigkeitswert.

Damit ist nicht der Paradigmenwechsel gemeint, der aus dem Primat des Neubaus das Primat der Bestands(um)nutzung macht. Auch vom Primat der Nachverdichtung, für die das Projekt zweifellos steht, ist hier nicht die Rede. Gemeint ist vielmehr das bundesweit nötige und vielerorts schon in Angriff genommene Unterfangen, Schlafstädte aus ihrem Wachkoma zu holen und Bürostädte aus ihrem gleichsam untoten Dasein zu erlösen und sie, im Sinne von Wolf Jobst Siedler, gewissermaßen zu „ent-morden“. Das ist gar nicht speziell und schon gar nicht nur auf den Seestern bezogen, der im Vergleich zu typologisch ähnlichen Komplexen sogar noch ganz gut abschneidet. Aber die problematische Typologie – darum geht es. Es geht um das Verständnis vom Dasein in der Stadt, um jenes „emotionale Stadterlebnis“, das Siedler schon 1964 in der damals als „modern“ geltenden deutschen Stadt vermisste. „Emotional“ und „modern“ ist kein Widerspruch und darf es nie sein. Aber er,Siedler, als städtebaulich Konservativer, hätte wohl darauf hingewiesen, dass „modern“ ein Anagramm von „morden“ ist.

Wer die Leben-und-Tod-Metaphorik übertrieben findet, sei daran erinnert, dass eins der wichtigsten Wörter unserer Branche „Wiederbelebung“ lautet. Oder wie würden Sie „Revitalisierung“ übersetzen? Die Twins sind Revitalisierung und Vitalisierung zugleich: Sie sollen etwas be-leben, also: zum Leben erwecken. Nicht nur sich selbst und das Klein-Quartier, das sie bilden, sondern idealerweise auch langfristig das Groß-Quartier, den Seestern selbst. Das ist ihr wichtigster Nachhaltigkeits-Impuls, und dieser „Anstoß“ (lat.: „impulsus“) darf ruhig jene Fastfingerberührung assoziieren lassen, die unser Freund Michelangelo in der „Erschaffung Adams“ an eine Decke gemalt hat.

Unabhängig von Begrünungen, Öko-Bilanzen, Solarzellen oder Sozial-Pavillon sind die Twins vor allem als Pioniere nachhaltig. Die architektonische Imagination soll und muss sich nicht zuletzt vorstellen, wie der Ort, an dem sie wirkt, in 20 oder 30 Jahren aussehen wird. Sich Architektur als einen Aufbruchin die Zukunft und zu neuen räumlichen Ufern vorzustellen – das ist selbstverständlich eine wesentliche Nachhaltigkeitsüberlegung. Als Pioniere mögen die beiden L-förmigen Baukörper – noch – alleine stehen. Und bieten schon jetzt ein schönes Wohnen – in einer ausgezeichneten Lage. Die Rheinwiesen, das Strandbad Lörick, die Erholung, der Fluss sind 500 Meter nah! In der anderen Richtung – auch nicht viel weiter weg – ist Oberkassel, einer der schönsten und renommiertesten Stadtteile von Düsseldorf. Wir hoffen, dass der „Twins‘ Touch“ eine flächenwirkende Transformation des Seesterns initiieren kann – und wenn er das tut, dann bekommt Oberkassel echte Konkurrenz. Wir hoffen ferner, dass die Zwillinge durch die gleichermaßen konsequente wie einfache Art und Weise, Bestand umzunutzen und aus alten, urbanistisch gesehen schwierigen Räumen neue Lebens-Räume zu schaffen – ob als Wohnung, Quartier, Spielplatz, Frei- oder Sozialfläche –, dass also diese Art der Transformation viele folgenreiche Anstöße des Nach- und Mitmachens gibt. Das wäre einDurchbruch.

5 Anhang I: Fachplanung

5.1 TGA

Bestehende Fernwärmeversorgung wird genutzt – mehr als die Hälfte der Wärme wird mit einem niedrigen Primärenergiefaktor bereitgestellt. Dadurch sind die CO₂-Emissionen im Betrieb insgesamt sehr gering. Sowohl die Fußbodenheizung (flächendeckend in allen Wohnungen und in der KiTa) als auch die wohnungsweise Warmwasserbereitung werden mit Fernwärme versorgt. Dieses Konzept benötigt nur wenig Technikfläche, ermöglicht eine einfache und klare Abrechnung, und die Investitionskosten sind vergleichsweise gering.

Die Dächer werden mit einer Photovoltaikanlage ausgestattet, die auf Grundlage einer minimal angesetzten Modulfläche einen geschätzten Jahresertrag von etwa 120.000 kWh/a erzielt. Durch eine Vergrößerung der PV-Fläche kann dieser Ertrag in weiteren Varianten entsprechend gesteigert werden. Die Anlage lässt sich optimal mit einem Gründach kombinieren; der kühlende Effekt der Dachbegrünung erhöht gleichzeitig die Effizienz der Module. Die Gebäude werden zudem mit stromsparender LED-Beleuchtung ausgestattet und erhalten eine Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge.

Das auf den Dächern anfallende Regenwasser wird über eine Zisterne im Außenbereich gesammelt und zur Bewässerung der Grünanlagen verwendet. Dies reduziert die in den Kanal einzuleitende Regenwassermenge und spart Trinkwasser. Falls seitens der Stadt Einleitbeschränkungen bestehen, kann das Dach zusätzlich als Retentionsdach ausgeführt werden.

Die Wohnungen werden vorrangig natürlich be- und entlüftet. Ergänzend kann, insbesondere bei Neubauten, eine kontrollierte Wohnraumlüftung über dezentrale Geräte mit Wärmerückgewinnung vorgesehen werden. Innenliegende Räume und WC-Bereiche werden mechanisch entlüftet.

5.2 Tragwerk

Das Gebäude ist als Massivbau in Stahlbeton-Skelettbauweise erstellt worden. Die Bestandsdecken sind als Unterzugsdecken konzipiert, während die Stahlbetonstützen unter den Unterzügen angeordnet sind. Das erlaubt es, die bei einem Wohngebäude erforderlichen Steigepunkte für Wasser und Abwasser auch in Stützennähe führen zu können, sofern die Unterzüge nicht angeschnitten werden. Bei einer Flachdecke ohne Unterzüge wäre das innerhalb des Durchstanzbereichs der Stützen nur mit hohem Zusatzaufwand möglich.

Der Diagonalriegel wird komplett zurückgebaut, sodass zwei eigenständige Gebäudeteile entstehen. Um diese beiden Gebäudeteile jeweils auszusteifen, werden vor Kopf im Bereich der außenliegenden Treppenläufe zusätzliche Wandscheiben angeordnet. Die vor der Fassade auf auskragenden Betonkonsolen aufliegenden schmalen Wartungsbalkone sollen inklusive der Konsolen rückgebaut und durch breitere Balkone ersetzt werden. Geplant ist, diese Balkone an der Vorderkante auf Stützen aufzulagern, die bis zur Gründung durchlaufen.

Die Aufstockung wird in Holzbauweise realisiert, um das Zusatzgewicht zu minimieren. Inwieweit eine Ertüchtigung der vertikalen Bauteile erforderlich ist, muss noch geprüft werden. Erfahrungsgemäß ist bei Bürogebäuden, die zu Wohngebäuden umgenutzt werden, in jedem Geschoss eine Lastreserve vorhanden, die für die Aufstockung angerechnet werden kann. Da derzeit noch keine statischen Bestandsunterlagen zum Gebäude vorliegen, kann das jedoch noch nicht verifiziert werden.

5.3 Brandschutz

Neubau: Der Neubau ist als regelkonformes Wohngebäude der Gebäudeklasse 5 konzipiert. Da der Einsatz von Hubrettungsfahrzeugen der Feuerwehr lagebedingt nicht möglich ist, wird für das Gebäude ein Sicherheitstreppenraum mit offenem Gang vorgesehen.

Umplanung Bestandsgebäude: Das Bestandsgebäude wurde seinerzeit als Bürohochhaus genehmigt und entspricht den bauzeitlichen brandschutztechnischen Vorgaben. Durch die geplante Nutzungsänderung besteht dem Grunde nach kein Bestandsschutz. Im Sinne einer schutzzielgerechten, aber dennoch wirtschaftlichen brandschutztechnischen Neubewertung war jedoch der Erhalt der bestehenden statisch tragenden Bauteile einschließlich der Geschossdecken zu bewerten. Diese können, abgesehen von der Beseitigung etwaiger Schadstellen, ohne aufwendige Ertüchtigungsmaßnahmen im Bestand verbleiben, da sich durch die geplante Kleinzelligkeit (Aufteilung in Wohnungen mit jeweils feuerbeständigen Trennwänden) hinsichtlich des baulichen Brandschutzes eine wesentliche Verbesserung der Bestandssituation ergibt.

Bei der Neugestaltung der Fassade wird berücksichtigt, dass der erforderliche Brandüberschlagsweg von mindestens 1 Meter von Geschoss zu Geschoss eingehalten wird. Dies ist durch zurückliegende Loggien und auskragende massive Platten möglich; auf kostenintensive anlagentechnische Maßnahmen kann also verzichtet werden.

Durch den geplanten Einschnitt in die vorhandene Gebäudestruktur und einhergehend mit der Ausbildung von zwei Solitärgebäuden ergibt sich eine Rettungswegführung mit jeweils zwei außenliegenden notwendigen Treppenräumen. Diese können aus den einzelnen Nutzungseinheiten (= Wohnungen) über einen gemeinsamen notwendigen Flur erreicht werden. Besondere anlagentechnische Maßnahmen sind, abgesehen von qualifizierten Öffnungen zur Rauchableitung, für die notwendigen Treppenräume nicht erforderlich. Die Flurwände sind konsequent feuerbeständig, während die Wohnungseingangstüren regelkonform feuerhemmend, rauchdicht und selbstschließend ausgeführt werden.

Für den Einsatz der Feuerwehr sind in beiden Hochhäusern Feuerwehraufzüge erforderlich bzw. im Bestand vorhanden.

6 Anhang II: Zusammenfassung der wichtigsten Nachhaltigkeitsaspekte

Nachhaltigkeit / Ökologische Aspekte

  • Nachverdichtung statt Neubau – ressourcenschonende Nutzung bestehender Flächen durch Erhalt des Hauptgebäudes und der Tiefgarage.
  • Photovoltaikanlage mit einer prognostizierten Jahresstrom­erzeugung von ca. 120.000 kWh/a (Basis: minimal angesetzte Modulfläche; durch Erweiterung der PV-Flächen kann der Ertrag entsprechend gesteigert werden).
  • Nutzung der bestehenden Fernwärmeversorgung – mehr als die Hälfte der Wärme wird mit einem niedrigen Primärenergiefaktor bereitgestellt. Laut Zertifizierung der TU Dresden weist die Fernwärme Düsseldorf einen Primärenergiefaktor von 0,29 und nahezu klimaneutrale CO₂e-Emissionen auf. Dadurch sind die Emissionen im Betrieb insgesamt äußerst gering.
  • Dachbegrünung und Regenwassernutzung über Zisternen und Retentionsdächer.
  • Begrünte Innenhöfe, Außen- und Spielflächen als Teil einer grünen Infrastruktur – tragen zur Schwammstadt, besserem Mikroklima und Hitzeschutz bei.

Reduktion grauer Energie und ressourcenschonende Bauweise

  • Erhalt und Weiterverwendung wesentlicher Bestandsbauteile wie Tragwerk, Decken und Kernstrukturen – dadurch bleibt ein großer Anteil der im Bestand gebundenen grauen Energie erhalten.
  • Umfassende energetische Sanierung mit verbesserter Gebäudehülle zur deutlichen Reduzierung des Energiebedarfs im Betrieb.
  • Aufstockung in leichter und nachhaltiger Holzbauweise als zusätzlicher Beitrag zur CO₂-Reduktion.
  • Einsatz natürlicher und ressourcenschonender Baustoffe zur weiteren Verbesserung der ökologischen Gesamtqualität.
  • CO₂-Bilanzierung bestätigt: Das Projekt übertrifft den DGNB-Zielwert für Bestandsgebäude und erreicht Werte im oberen Zielbereich.
Bild 8 Lageplan (Quelle: caspar./studio grüngrau)
Bild 8 Lageplan
Quelle: caspar./studi grüngrau

Nachhaltigkeit / Soziale Aspekte

  • Schaffung von Begegnungsorten wie Platz, Café, Quartierstreffpunkt oder Pavillon.
  • Kombination verschiedener Nutzungen: Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Gemeinschaft.
  • Barrierefreie Wege und Zugänge.
  • Kindertagesstätte als Teil der sozialen Infrastruktur.
  • Außenbereiche mit Spiel-, Grün- und Freizeitflächen für alle Generationen.

Nachhaltigkeit / Ökonomische Aspekte

  • Umnutzung statt Neubau spart Ressourcen und senkt Baukosten.
  • Erhalt bestehender Strukturen reduziert Material- und Energiebedarf.
  • Fernwärmeversorgung als kosteneffiziente Lösung.
  • Langlebigkeit und Anpassungsfähigkeit durch nachhaltige ­Sanierung.
  • Neue wirtschaftliche Nutzung durch Umwandlung von Büro- in Wohnflächen.
  • Optimierte Flächennutzung durch Nachverdichtung und Umnutzung.

    7 Anhang III: Projektinformationen

Tab. 1 Projektbeteiligte

BauherrQiDUS S. a.r. l., vertreten durch Epicore Investment Management GmbH, Düsseldorf
Generalplanercaspar.
EntwurfsverfasserCaspar Schmitz-Morkramer
Team caspar.Jutta Göttlicher, Ines Werker, Lara Klein, Jonas Ritgen, Francisco Vaz Cano, Baharan Mohseni Kabir, Johannes Feder, Andreas Niemann, Frank Schreer, Michael Kuhn, Nina Scheil, Hendrik Sichler, Sonja Gallo, Fabio Di Franco
FachplanungTragwerksplanung: Kempen Krause Ingenieure, AachenTGA: Winter Ingenieure, DüsseldorfBauphysik: Peutz Consult, DüsseldorfBrandschutzplanung: Corall Ingenieure, MeerbuschFreiraumplanung: studio grüngrau, Düsseldorf
Planungszeitraumab 2025
Visualisierungencaspar./moka-Studio
Pläne und Zeich­nungencaspar.
Lageplan (Bild 8)caspar./studiogrüngrau

Literatur

  1. CIAM – Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (1943) The Athens Charter (J. Tyrwhitt, Übers.). Paris: Library of the Graduate School of Design, Harvard University (Original erschienen 1933).
  2. Siedler, W. J., Niggemeyer, E. & Angress, G. (1964) Die gemordete Stadt: Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum. München: Herbig.
  3. Raskob, C. (1996) Gegen die Wirklichkeit der Städte.DIE ZEIT, 5. April 1996, Nr. 15/1996.https://www.zeit.de/1996/15/Gegen_die_Wirklichkeit_der_Staedte
  4. Deutscher Bundestag (2000) 108. Sitzung, Plenarprotokoll 14/108, 8. Juni 2000, S. 10104.Berlin: Deutscher Bundestag.https://dserver.bundestag.de/btp/14/14108.pdf
  5. Bloch, E. (1963) Das Prinzip Hoffnung. Gesamtausgabe, Bd. 5, 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  6. Michelangelo Buonarroti (31. März 1547) Brief an Benedetto Varchi. In: Michelangelo: Gedichte und Briefe.

Autor:in

Caspar Schmitz-Morkramer, c@caspar.archi
caspar.schmitzmorkramer gmbh / Köln
www.studiocaspar.com

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