Umbauwende: Ein Plädoyer für das Bauen im Bestand

Wie wir bauen, beeinflusst maßgeblich die Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum, die Gestaltung der Städte, die Umwelt und somit unser langfristiges Wohlbefinden. Um einen nachhaltigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz und gleichzeitig zu bezahl­barem Wohnraum zu leisten, müssen wir die Art und Weise, wie wir bauen, aktiv umgestalten, hin zu einer Fokussierung auf das, was bereits da ist – den Gebäudebestand.

Eine Bestandsaufnahme

Die gebaute Umwelt prägt uns wie kaum etwas anderes. Ich bin in Plauen aufgewachsen, der größten Stadt im sächsischen Vogtlandkreis. Die Innenstadt ist durchzogen von historischen Gebäuden, die zum großen Teil denkmalgeschützt sind. Dort habe ich schon früh gelernt, dass Bauwerke langlebige Güter sind und auch so behandelt werden sollten.

Gleichzeitig weist Sachsen gemeinsam mit Sachsen-Anhalt und Thüringen die bundesweiten Spitzen-Leerstandsquoten auf. Leerstand ist nach wie vor ein Problem in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands. Auch vom Donut-Effekt sind diese Regionen betroffen. Trotz Leerstand im Ortskern weisen Gemeinden neue Neubaugebiete mit enormem Flächenverbrauch aus. Gebrauchte Immobilien im Ortskern finden dann häufig keine Abnehmer:innen. Folgen sind zunehmende Zersiedlung, verödende Dorfzen­tren und neue Leerstände.

So waren in den 2010er-Jahren die Erwartungen an die Einwohnerzahl in der sächsischen Stadt Hoyerswerda bspw. sehr gering, was dazu führte, dass stark vom Leerstand betroffene Hochhäuser im Zentrum abgerissen wurden. Es entstanden mitten in der Neustadt Brachflächen. Doch im Rahmen eines Architekturwettbewerbs wurde ein Restbestand der Wohnbebauung erhalten und sogar aufgestockt, sodass sich jetzt inmitten des Zentrums wieder Menschen begegnen können.

Denn es gibt auch engagierte Bürger:innen, die sich für Bestandserhalt einsetzen. Das zeigt auch der Bericht des Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland, Carsten Schneider, aus 2022. Sie sehen in sich veränderten Stadtbildern eine Chance für die Bauwende und treiben diese aus der Mitte der Gesellschaft voran. Das ist auch dringend nötig.

Rohstoffe, Flächenverbrauch, Emissionen

Die Wirtschaftsweise Deutschlands ist derart ressourcenintensiv, dass im Jahr 2023 alle nachhaltig nutzbaren Ressourcen bereits am 4. Mai aufgebraucht waren. Würden alle Länder der Welt genauso wirtschaften, bräuchte es zur Bewältigung dieses Lebensstils ganze drei Planeten. Daran hat der Bausektor einen entscheidenden Anteil.

Allein die direkten Emissionen aus der Heizung und Kühlung von Gebäuden machen rd. 15 % der deutschen CO2-Emissionen aus. Hinzu kommen die indirekten Emissionen aus der Lieferkette der v. a. fossilen Energieträger sowie der Produktion, dem Transport und dem Recycling von Baustoffen. Das summiert sich dann zu 40 % der gesamtdeutschen CO2-Emissionen. Der Gebäudesektor trägt außerdem zu rd. 55 % des Abfallaufkommens und 90 % der inländischen Rohstoffentnahme bei. Faktisch bedeutet die Gewinnung von Baumaterialien Eingriffe in Landschaften, die Zerstörung von Lebensräumen und Beeinträchtigungen des natürlichen Wasserhaushalts.

Potenziale nutzen

Viele dieser Probleme lassen sich lösen, indem wir nutzen, was wir bereits haben. Im Gebäudebestand versteckt sich ungenutzter Wohnraum, über den Ausbau von Dachgeschossen, Umnutzung und Revitalisierung von Leerstand können bis zu 4 Mio. Wohnungen mobilisiert werden, die dringend benötigt werden, um der Wohnraumknappheit entgegenzuwirken. Dabei werden durch die Nutzung bestehender Gebäude Ressourcen geschont, neue Flächenversiegelung vermieden und die in den Gebäuden gespeicherte graue Energie geht nicht verloren.

Innerhalb dieser Ampelkoalition haben wir schon große Schritte unternommen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Förderkulisse prioritär den Gebäudebestand und Sanierungen adressiert. In erster Linie ist hier die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) zu nennen. Bereits 2022 veränderte sich der Fokus: Ein Großteil des Fördertopfs ist nun für den Gebäudebestand und nicht mehr für den Neubau eingeplant. Darüber hinaus gibt es einen zusätzlichen Bonus für die Sanierung der energetisch schlechtesten Gebäude sowie für serielle Sanierungen. Auch die 2023 novellierte Förderung für Klimafreundlichen Neubau (KFN) kann verwendet werden, um neue Wohnungen in bestehenden Gebäuden über Aufstockung oder Umwidmung zu schaffen. Wird ein bisher unbeheiztes Nichtwohngebäude zu Wohnfläche umgewidmet, sind die Umbaukosten durch die Neubauförderung förderfähig. Betrachtet man das Potenzial zur Errichtung von Wohnungen in Nichtwohngebäuden von 2,3 bis 2,7 Mio. Wohnungen, ist das eine vielversprechende Nachricht.

Umbau ermöglichen

Doch es kann noch mehr getan werden, damit die Bauwende an Fahrt aufnimmt. Deshalb setzen wir uns weiter dafür ein, die Bedingungen für das Bauen im Bestand zu verbessern. Dazu müssen die Rahmenbedingungen für den nachhaltigen Umbau alter Gebäude vereinfacht und Pionierprojekte durch fortlaufende Förderung gestärkt werden. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass keine neuen Neubaugebiete ausgewiesen werden, wenn das Potenzial der Nachverdichtung und Erschließung von Leerständen besteht. Noch gilt Neubau in Gesetzen, Verordnungen und Anreizsystemen als Norm. Unser Ziel ist es, eine Fokussierung auf den Bestand zu erreichen. Der Umbau eines bereits gebauten Gebäudes ist immer klimafreundlicher als ein Neubau.

Gemeinsam für die Bauwende

Auf dem Weg zu mehr Bauen im Bestand muss die gesamte Branche an einem Strang ziehen. Es braucht ein radikales Umdenken aller Baubeteiligten, Ausbildungsbetriebe, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und der Politik. Auf der politischen Ebene teilen sich Bund, Länder und Kommunen die Zuständigkeit für Baupolitik, wobei ein großer Teil auf die Landesebene fällt. Doch Anreize und Rahmenbedingungen müssen vom Bund kommen, denn Länder und kommunale Entscheidungsträger:innen brauchen Planungssicherheit und transparente Prozesse. Dafür werden wir Bündnisgrüne auf der Bundesebene vorangehen und an drei entscheidenden Stellschrauben drehen. Wir machen in unserem Positionspapier Vorschläge für 20 Maßnahmen, die Bauen im Bestand erleichtern sollen: https://www.gruene-bundestag.de/themen/bauen-wohnen-stadtentwicklung/bauen-im-bestand-erleichtern. Durch auf den Bestand ausgerichtete Regelwerke, wie das Gebäudeenergiegesetz, die Honorarordnung für Architekt:innen und Ingenieur:innen, die Musterbauordnung oder das BauGB, schaffen wir transparente und klare Vorgaben. Mit finanziellen Anreizen wie einer erhöhten Bundesförderung für energieeffiziente Gebäude erreichen wir Planungssicherheit. Als öffentliche Hand gehen wir als Vorbild voraus und priorisieren Sanierung und den Bestand. So schaffen wir neuen bezahlbaren Wohnraum, im Einklang mit dem Klima.


Autor:in

Dipl.-Ing. Kassem Taher Saleh MdB
kassem.tahersaleh.ma04@bundestag.de
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Obmann im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen 
www.gruene-bundestag.de

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