Sozialökologische Forschungsergebnisse und Bewohner:innen-Erfahrungen aus einem selbstverwalteten Wohnheim
Mit dem Collegium Academicum entstand auf einer Heidelberger Konversionsfläche ein innovatives, selbstverwaltetes Studierenden- und Auszubildendenwohnheim mit einem besonderen Fokus auf flächensparendes und gemeinschaftliches Wohnen und suffizienzorientierte Alltagsgestaltung. Der Artikel beleuchtet zunächst die planerisch-baulichen Nachhaltigkeits-Maßnahmen am Holzneubau und den beiden Bestandssanierungen. Danach gibt eine Bewohnerin Einblicke in den Alltag der Bewohner:innen. Abschließend werden sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse zum Zusammenwohnen vorgestellt.
1 Das Collegium Academicum: Ein Wohn- und Lernort für Suffizienz
Seit 2013 arbeitet eine ehrenamtliche Projektgruppe junger Menschen in Heidelberg daran für über 250 Menschen bezahlbaren, demokratisch-selbstverwalteten und ökologisch vertretbaren Wohnraum zu schaffen. Dafür wurde auf der Heidelberger Konversionsfläche „US Hospital“ mit dem Collegium Academicum (CA) ein Ort entwickelt, der sich vorrangig an Personen vor oder während des Studiums bzw. der Ausbildung richtet, aber auch durch vielfältige Bildungs- und Kulturveranstaltungen ein sozialer und kultureller Treffpunkt im Quartier sein soll. Das CA ist Mitglied im Mietshäuser Syndikat, welches das Ziel verfolgt gemeinschaftliches Wohnen zu fördern und Immobilien langfristig dem Wohnungsmarkt zu entziehen [1]. Das Gelände umfasst drei Baukörper. Der vierstöckige Holzneubau, in enger Abstimmung mit der Projektgruppe geplant von DGJ Architektur aus Frankfurt, wurde im Februar 2023 bezogen und stellt den Nukleus des Projekts dar. Er wurde mit verschiedenen Fördermitteln unterstützt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Holzbaupreis Baden-Württemberg und dem deutschen Nachhaltigkeitspreis. Er bietet Wohnraum für 176 Personen und verfügt über mehrere Werkstätten, eine Aula für über 600 Personen, multifunktionale Räume mit Gemeinschaftsküche sowie einen Dachgarten. Im angrenzenden Altbau, dessen Sanierung vom Heidelberger Architekturbüro Gerstner + Hofmeister geplant wurde, findet sich Wohnraum für weitere 80 Bewohner:innen. Dort wird auch das Orientierungsjahr falt*r [2] durchgeführt. Im Pförtnerhäuschen am nordöstlichen Ende des Grundstücks soll ein Quartierscafé entstehen (Bild 1). Das CA wurde 2019 bis 2024 wissenschaftlich durch das BMBF-geförderte transdisziplinäre Forschungsprojekt SuPraStadt begleitet. Dieser Artikel basiert auf den Ergebnissen des Projekts [3].
2 Die drei Nachhaltigkeitsstrategien im CA mit Leben füllen
Das CA pflegt einen verantwortungsvollen Umgang mit Natur und Umwelt und versucht deshalb Nachhaltigkeit auf allen Ebenen zu verankern. Zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele unterscheidet die Wissenschaft grundsätzlich drei Strategien [4].
Als erste Nachhaltigkeitsstrategie adressiert die Effizienz eine Optimierung des Verhältnisses von Nutzen zu aufgewendeter Energie oder Ressourcen. Der Einsatz von Wärmedämmung sind klassische Effizienzmaßnahmen im Gebäudebereich.
Zweitens haben Konsistenzstrategien das Ziel durch neue Technologien und den Einsatz von erneuerbaren und zirkulären Ressourcen Umweltwirkungen zu reduzieren und Stoffkreisläufe zu schließen. Übersetzt auf Gebäude umfasst die Konsistenzstrategie z. B. die Verwendung nachwachsender Rohstoffe, die dezentrale Energiegewinnung durch Photovoltaik oder Solarthermie und die erneuerbare Wärmeversorgung z. B. mit Wärmepumpen.
Suffizienz als dritte und komplementäre Strategie zielt darauf ab, den Energie- und Ressourcenverbrauch durch Veränderung der Nachfrage absolut zu reduzieren. Grundsätzlich ist das Ziel dabei menschliche Bedürfnisse, beispielsweise in Bezug auf Wohnen und Alltagsgestaltung, mit der ökologischen Tragfähigkeit der Erde in Einklang zu bringen [5, 6]. Dabei setzt Suffizienz vor allem auf eine Veränderung von Verhaltensweisen inklusive der Rahmenbedingungen, die dieses Verhalten vereinfachen [7]. Sie un terscheidet sich damit von den beiden technologisch orientierten Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz und Konsistenz, da sie soziale Veränderungsprozesse in den Vordergrund stellt. Suffizienzstrategien können innerhalb einzelner Handlungsfelder weiter ausdifferenziert werden. Im Bereich Wohnen geht es dabei vor allem um die Reduktion von Wohnfläche, u. a. durch das Teilen von Wohnraum, den Wechsel von Gebäudetypen hin zu einer erhöhten Verdichtung sowie der Priorisierung von Umbaumaßnahmen [4, 8]
2.1 Planerisch-bauliche Umsetzung
Im CA stand die Schaffung eines nachhaltigen Wohn- und Lernortes von Beginn an im Zentrum der Gestaltung. Die drei zentralen Nachhaltigkeitsstrategien sollten ab Leistungsphase 0 konsequent in bauliche Strukturen überführt werden, um suffiziente Wohn- und Lebensstile in der späteren Nutzungsphase zu erleichtern. Durch die besondere rechtliche Konstruktion der Projektgruppe nach dem Modell des Mietshäuser Syndikats wurde sichergestellt, dass die späteren Nutzer:innen und deren Bedürfnisse partizipativ in die Planungsphase eingebunden wurden. Die Projektgruppe engagierte sich zudem umfangreich mit Eigenleistungen, beispielsweise wurde die ein großer Teil der Erstausstattung der WGs mit Möbeln in der eigenen Werkstatt hergestellt.
2.1.1 Energie und Materialien
Durch Wärmedämmung und dezentrale Lüftungsanlagen erreicht der CA-Neubau den KfW 40+ Standard, was eine gute Basis für einen effizienten Gebäudebetrieb darstellt. Hinsichtlich der Konsistenzstrategie ist aus energetischer Sicht die großflächige Photovoltaikanlage (180 kWp im Neubau und 31 kWp im Altbau, betrieben durch die Heidelberger Energiegenossenschaft) und der Anschluss an das Fernwärmenetz hervorzuheben. Bei der Materialwahl des Neubaus dominiert der Baustoff Holz. So sind Teile der Fassade daraus hergestellt. Die Besonderheit ist aber die Tragstruktur ohne metallische Verbindungsmittel, die auch in der nbau 02/2025 detaillierter vorgestellt wird. Beim Altbau wiederum kommen Zellulose bei der Dachdämmung und neuartige Trockenbausysteme aus gepresstem Stroh zum Einsatz [9].
2.1.2 Reduzierte Wohnfläche und gemeinschaftliche Strukturen

Quelle: DGJ Architektur
Das Teilen von Wohnraum durch die selbst-organisierte Bewohner:innenschaft ist das wohl wichtigste Merkmal, welches das CA als einen Ort gelebter Suffizienzkultur charakterisiert. Die Besonderheit findet sich in der Raumstruktur der einzelnen Wohneinheiten (Bild 3). Jede Wohnung ist grundsätzlich als Wohngemeinschaft (WG) für 4 Personen angelegt. Die Raumgrößen können durch ein System aus versetzbaren Schiebewandelementen individuell angepasst werden (Bild 4). Jede Bewohner:in kann sich dabei zwischen einer Raumgröße von 7 m² oder 14 m² entscheiden. Bei der kleineren Variante können die restlichen 7 m² als Gemeinschaftsfläche der WG genutzt werden (Bild 5). Falls sich im Laufe der Zeit die Wohnwünsche oder -bedarfe ändern (mehr oder weniger Platz), kann die Raumgröße also kurzfristig flexibel und individuell angepasst werden. Langfristig besteht bei veränderten Wohnbedarfen durch die Barrierefreiheit im Sinne des ready-Standard [10] eine Anpassbarkeit hin zu Senior:innen-gerechten Wohnungen.
In Summe ergibt sich dadurch innerhalb der WGs eine Pro-Kopf-Wohnfläche von nur 22 m² bei gleichzeitig hoher Wohnqualität. Auch unter Hinzunahme der Gemeinschaftsflächen im Gebäude ergibt sich lediglich ein reduzierter Wert von nur 25 m² [11], der damit im sozial-ökologisch vertretbaren Bereich unter 35 m² liegt [12].

Quelle: Myriam Thuerigen
Der Gebäudekomplex bietet verschiedenste Flächen zur gemeinschaftlichen Nutzung im Innen- und Außenbereich. Die große Aula bildet als Gemeinschaftsraum den sozialen Treffpunkt des Wohnheims und kann für Veranstaltungen, Partys und Plenartermine genutzt werden (Bild 6). Die Überdachung des Raumes dient gleichzeitig als Dachterrasse für den gemeinschaftlichen Aufenthalt im Freien. Zusätzlich finden sich innerhalb des CA vielfältige Infrastrukturen, die eine suffizienzorientierte Lebensweise fördern und ermöglichen. Dabei stehen den Bewohner:innen eine Holz-, Metall- und Fahrradwerkstatt zur Verfügung. Hier können beispielsweise Möbelstücke und Dinge des täglichen Bedarfs selbst hergestellt werden.
Mit diesen Strukturen ähnelt das CA eher gemeinschaftlichen Wohnprojekten im Sinne des „Co-housing“ als klassischen Studierendenwohnheimen [13]. Wie im CA besitzen Co-housing Projekte häufig eine ökologische Bauweise, einen hohen Anteil an Gemeinschaftseinrichtungen und -infrastrukturen, sowie selbstverwaltete Organisationsstrukturen [14].
2.2 Leben in suffizienten Strukturen: eine Alltagsbeschreibung
Das Leben im CA ist geprägt von einer Kultur des Teilens, des Selbermachens und der kurzen Wege. Der Alltag der Bewohner:innen ist eng mit der Projektstruktur der Selbstverwaltung verknüpft. Die Bewohner:innen übernehmen alle Teile der Selbstorganisation und engagieren sich unter anderem in der Werkstatt-, Fahrrad-, Garten-, oder Foodsharing AG. Diese Gruppen bieten den Rahmen für eine Vielzahl von Suffizienzpraktiken: Möbelbau aus Holzresten, Fahrradreparatur, naturnaher Gemüseanbau, Lebensmittelrettung und Küfa-Angebote (Küche für Alle) sind Beispiele dafür (Bild 7). Im Vordergrund steht die Nachhaltigkeit, aber auch das starke Gemeinschaftsgefühl, Selbstwirksamkeit, Lernen und Spaß. Lernen wird in Form von Learning-by-Doing, Skillshares und strukturierten Bildungsformaten, wie einem Workshop zur Gartengestaltung nach Permakulturprinzipien, gestaltet.
Auch im alltäglichen Leben findet Suffizienz statt: Bewohner:innen teilen sich nicht nur Wohnfläche und eine Vielzahl an Gegenständen, sondern auch Care- und Haushaltsarbeit auf und genie ßen die dadurch freigewordenen Zeitkontingente. Oft geschieht dies auch WG-Übergreifend. Nicht alle WGs benötigen eine Küchenmaschine, wenn man sich diesen auch bei den Nachbarn ausleihen kann. Als Dank wird ein Stück Kuchen vorbeigebracht, der aus gerettetem Obst gebacken wurde. Besonders die Abende gestalten sich im CA bunt, wenn die meisten Bewohner:innen wieder zu Hause sind: In der Aula ist Zeit für Plenum und AG-Treffen, öffentliche Bildungsveranstaltung wie Lesungen, aber auch Events wie Kleidertauschbörsen. In der offenen Radwerkstatt zeigen sich Leute gegenseitig Kniffe, um ihre Fahrräder wieder fit zu machen. Bewohner:innen kommen regelmäßig an selbst geschreinerten Brettspieltischen zusammen. In der Waschlounge reichen fünf Maschinen für die gesamte Bewohner:innenschaft, da Zeitslots für die Nutzung gezielt organisiert und über den Tag verteilt werden. Auf den Außenflächen werden gerade in den Sommermonaten regelmäßig gemeinschaftliche Essen organisiert: Grillabende mit Gemüse aus dem eigenen Gemeinschaftsgarten sind keine Seltenheit.
2.3 Forschungsergebnisse bezüglich der Potentiale des CA als Lernort für suffiziente Lebensweisen
Wie in der Alltagsbeschreibung deutlich wird, trägt das CA zu einem kulturellen Wandel bei, der für eine Verbreitung von Suffizienz notwendig ist. Im Zuge des SuPraStadt Projektes wurde deshalb eine Studie durchgeführt, welche das gemeinschaftliche Leben und Wohnen im CA untersucht und dabei auch die individuellen Perspektiven der Bewohner:innen auf suffizientes und gemeinschaftliches Leben zu analysiert [19]. Hierzu wurden Befragungen zu mehreren Zeitpunkten im CA und einem zweiten Wohnheim in unmittelbarer Nachbarschaft durchgeführt. Dies ermöglichte einerseits mögliche Veränderungsprozesse über die Zeit zu erfassen, andererseits die Antworten der CA Bewohner:innen mit den Bewohner:innen des zweiten Wohnheims zu vergleichen. Bei der Befragung wurden sowohl standardisierte als auch offene Fragen verwendet.
Die quantitative Analyse der Befragungsdaten unterstreicht dabei die besondere Wohnkultur, die das CA im Vergleich zu „normalen“ Wohnheimen bietet. Bewohner:innen des CA berichteten mehr gemeinschaftliche Aktivitäten wie Kochen, Sport und gemeinsame Ausflüge (Bild 8). Auch wurden mehr Gegenstände des alltäglichen Lebens wie Küchenutensilien, Freizeitgegenstände und Elektronik geteilt (Bild 9). Trotz der kleineren privaten Wohnfläche berichteten die CA Bewohner:innen eine höhere Wohnzufriedenheit. Die thematische Auswertung offener Fragen ergab, dass im Bereich der Selbstorganisation, des gemeinschaftlichen Lebens und des Handwerks wichtige Fähigkeiten erworben wurden, die ein Leben in einer suffizienzorientierten Gemeinschaft stärken.
„Ich habe hier die Möglichkeit, handwerkliche Fähigkeiten zu erlernen. Wie Werkzeuge funktionieren, wie die Fräse funktioniert, wie man Fräsdateien erstellt. Diese Möglichkeit hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben.“
„Ich kann hier erfahren, wie wertvoll Gemeinschaft sein kann und wie sich dieses ‚eingebunden sein‘ sehr positiv auf meine Lebensqualität auswirkt. Ich fühle mich selten alleine und entdecke immer wieder neue Potenziale und kreative Ideen, die ich hier umsetzen kann. Die Hürden zur Verantwortungsübernahme sind sehr gering, weshalb ich mir viel mehr zutraue und Mut habe, meine Ideen auch umzusetzen. (…)“
„(…) Wie viel man teilen kann und wie sinnlos es ist, das nicht zu tun. Und wie wenig man zum Leben braucht.“
Zudem wurden die Bewohner:innen der Wohnheime befragt, inwiefern diese auch in Zukunft gemeinschaftlich wohnen wollen. Den Teilnehmenden wurden dafür mehrere Aussagen vorgelegt (Bsp.: „Ich kann mir gut vorstellen, nach einem Auszug aus dem Wohnheim weiterhin in einem gemeinschaftlichem Wohnprojekt zu leben.“; „Auch nach meiner Zeit im Wohnheim möchte ich mir eine Wohnung mit anderen Personen teilen.“). Die Befragten gaben dabei an, inwiefern sie diesen Aussagen zustimmen. Im Durchschnitt berichteten Bewohner:innen des CA dabei eine stärkere Intention auch in Zukunft gemeinschaftlich zu wohnen. Natürlich sollte hier beachtet werden, dass es sich lediglich um eine geäußerte Verhaltensabsicht zeigt, die nicht notwendigerweise eintritt. Gerade bei suffizienten Wohnformen gibt es viele strukturelle Barrieren, welche eine Verhaltensumsetzung auch bei vorhandener Absicht erschwert [20].
Zusammenfassend kann allerdings gesagt werden, dass durch die Erfahrung mit neuen Formen des Wohnens und Konsumierens das Potential besteht, eine suffizienzorientierte Lebensweise mit den eigenen Bedürfnissen in Einklang zu bringen. Aus vorherigen Studien ist bekannt, dass Menschen sich für Suffizienz entscheiden, wenn sie dadurch Vorteile wie Kosten- und Zeitgewinne, sozialen Zusammenhalt und Autonomie erleben [21, 22]. Dies kann sich in einer positiven Einstellung gegenüber Suffizienz ausdrücken [24]. Mit anderen Worten, ein suffizienzorientierter Lebensstil wird als sinnstiftend wahrgenommen [25]. Als Setting an dem Suffizienz nicht nur als abstraktes Konzept verhandelt, sondern im alltäglichen Leben erfahren wird, kann das CA Ressourcen und Fähigkeiten für ein suffizienzorientiertes Leben fördern, kultivieren und in die Gesellschaft tragen [19, 26].
3 Fazit: Von der Nische in den Mainstream – Suffizienz muss erlebt werden!
Wie die Ausführungen verdeutlichen, kann das CA zurecht als Leuchtturmprojekt suffizienzorientierten Wohnens bezeichnet werden. Aus architektonisch-planerischer Perspektive lässt sich konstatieren, dass intelligente Grundrisse und gemeinschaftliche Wohnformen einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion der Pro-Kopf-Wohnfläche leisten und gleichzeitig alle Wohnbedürfnisse erfüllen können. Anders als häufig kritisiert, stellt die Suffizienz damit keinen Verzicht oder Mangel dar. Ganz im Gegenteil können Selbstverwaltung und gemeinschaftliches Wohnen, unterstützt durch geeignete Infrastrukturen, die Erweiterung der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten bedeuten.
Am Beispiel des CA wird dabei deutlich, wie die einzelnen Nachhaltigkeitsstrategien sinnvoll kombiniert werden können, denn zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele ist dies unbedingt notwendig. Anhand des sogenannten „Rebound-Effektes“ ist gut dokumentiert, dass technologiebasierte Nachhaltigkeitseffekte durch einen entstehenden Mehrverbrauch an Energie verpuffen können, wenn Aspekte der Suffizienz vernachlässigt werden [15, 27]. Hier ermöglicht die Einbindung von Suffizienz die notwendige Richtungssicherheit, damit sich die angestrebten Nachhaltigkeitseffekte auch tatsächlich einstellen. Verschiedene Studien zeigen die großen ökologischen Potenziale der Wohnraumsuffizienz. So könnten bei ambitionierter Umsetzung rund 20 Mio. Tonnen Treibhausgas-Emissionen jährlich eingespart werden [4]. Die Effekte in anderen Umweltkategorien, zum Beispiel beim Ressourcenverbrauch, sind unter Umständen sogar noch größer [28]. Somit kann Wohnraumsuffizienz ökologische Verlagerungseffekte reduzieren.
Dabei zeigen die Erfahrungen aus dem CA und dem projektbegleitenden Forschungsprojekt SuPraStadt, dass es zur Verbreitung von suffizienten Wohnpraktiken nicht nur theoretisches Wissen, sondern vor allem auch praktische Erprobung braucht [19, 26]. Das CA leistet hier einen wertvollen Beitrag zur Veranschaulichung, wie selbstverwaltete flächensuffiziente Wohnformen aussehen können. Im Projekt entstehen konstant wichtige Lernerfahrungen, von der partizipativen Wohnraumgestaltung bis hin zur Umsetzung einer suffizienten Lebensweise im Alltag. Diese leisten einen wertvollen Beitrag zum besseren Verständnis und Anerkennung von Suffizienz als ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie. Für eine breite sozial-ökologische Wohnwende bleibt zu hoffen, dass weitere Reallabore folgen, welche Suffizienz und deren Vorteile erlebbar machen und so zu einer Verbreiterung suffizienzorientierter Lebens- und Wohnformen beitragen.
Literatur
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Autor:innen
Tilmann Hüppauff, tilmann.huepauff@fh-dortmund.de
FH Dortmund Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften
www.fh-dortmund.de/
Patrick Zimmermann, patrick.zimmermann@ifeu.de
ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH, Berlin
www.ifeu.de/projekt/suprastadt
Carla Cop, kontakt@collegiumacademicum.de
Collegium Academicum, Heidelberg
www.collegiumacademicum.de/
Dieser Aufsatz wurde in einem Peer-Review-Verfahren begutachtet.
Eingereicht: 03. März 2025; angenommen: 14. April 2025.