
„WIA – Women in Architecture. Das erste bundesweite Festival zur Sichtbarmachung von Frauen in Architektur, Innenarchitektur, Stadt- und Freiraumplanung sowie Bau- und Ingenieurbaukunst“ – ein großartiges Konzept, dachten wir uns als frisch gegründeter Verband mit ausschließlich weiblichen Gründungsmitgliedern. Mitmachen? Natürlich! Gesagt und los. Ganz nach Conny Zoller: Mut zum Tun – LOS!
Aber wann?
Schnell wurde klar: Ein solches Vorhaben ist alles andere als einfach. Die anfängliche Euphorie wich bald der Ernüchterung. Viele der angesprochenen Akteur:innen fanden die Idee zwar unterstützenswert, doch die Umsetzung scheiterte oft an den Realitäten des Alltags. Absagen häuften sich. Gründe? Überlastung durch das Tagesgeschäft, andere Ehrenämter, familiäre Verpflichtungen wie Pflege von Angehörigen oder Kinderbetreuung – alles Themen, die einmal mehr zeigen, wie stark unsere Gesellschaft auf dem (oft unbezahlten) Engagement von Frauen fußt. Und da drängt sich eine Frage auf: Wäre es bei einem Festival zur Sichtbarmachung von Männern genauso gewesen?
Ein Blick auf die Zahlen
Laut statistischem Bundesamt machen Frauen etwas mehr als 50 % der Gesellschaft in Deutschland aus (Stand: 2023). Bezogen auf die Baubranche regen die Zahlen im Arbeitsmarkt-Report 2025 des Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. mindestens zum Nachdenken an. „Lediglich 14 % der Beschäftigten im Wirtschaftszweig Baugewerbe sind weiblich. Im Wirtschaftszweig Bauhauptgewerbe liegt der Anteil mit 11 % sogar noch darunter.“ Mit nur 4,4 % sind Frauen bei den gewerblichen Auszubildenden in bauhauptgewerblichen Berufen fast zu vernachlässigen. Sie würden laut diesem Report „lieber in der Bauplanung und -überwachung arbeiten“, heißt es. 28 % der Beschäftigten sind dort Frauen. Dennoch ist auch das merkwürdig, da zwar nur 30 % der Studierenden des Fachs Bauingenieurwesen weiblich sind, jedoch seit 2006 mehr Studentinnen als Studenten Architektur studieren, wir also hier eine Frauenquote von über 50 % haben. Dennoch bleiben Frauen in der Berufspraxis unterrepräsentiert. Nur in der öffentlichen Verwaltung liegt der Anteil laut Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. immerhin bei 47 %.
Eine kurze, bittere Randnotiz: Die Gehälter hochqualifizierter Frauen liegen im Baugewerbe laut des Reports um 21 % unter denen der männlichen Kollegen.
Wie sieht es mit der Geschlechterverteilung zahlenmäßig im Ehrenamt aus?
Laut einer aktuellen Umfrage von Architects for Future Deutschland e.V. sind 75% der Ehrenamtlichen Frauen, 1% Divers und 24% Männer.
Das scheint aber nicht pauschal auf alle Bereiche des Lebens übertragbar zu sein; vermutlich eher spezifisch für die Baubranche.
So zeigt die Publikation „Freiwilliges Engagement von Frauen und Männern – Genderspezifische Befunde zur Vereinbarkeit von freiwilligem Engagement, Elternschaft und Erwerbstätigkeit“ von Kausmann et al., dass das freiwillige Engagement von Frauen und Männern je nach Lebensphase variiert: Bei Jugendlichen gibt es kaum Unterschiede, ab 65 engagieren sich Männer häufiger, und im Familienalter (25 bis 54 Jahre) sind die Anteile der Geschlechter nahezu gleich. Sie liefert außerdem Aussagen darüber, dass sich Männer und Frauen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen engagieren: Frauen häufiger in den Bereichen Religion/Kirche, Kindergarten/Schule als auch im gesundheitlichen und sozialen Bereich, Männer eher in beruflichen Interessenvertretungen außerhalb des Betriebs, im Unfall- und Rettungsdienst, bei der Freiwilligen Feuerwehr, aber auch im Bereich Sport, der Politik und politischen Interessenvertretungen.
Übereinstimmend ist sowohl in der Umfrage von Architects for Future Deutschland e.V. als auch in der Publikation von Kausmann et al., dass „freiwillig engagierte Männer (…) deutlich häufiger eine Leitungs- und Vorstandstätigkeit im freiwilligen Engagement aus(üben)“, Männer also häufiger als Gesichter von Bewegungen auftreten. Frauen investieren hingegen mehr Zeit und übernehmen oft strukturierende Aufgaben (so Architects for Future Deutschland e.V.) .
Nachhaltigkeit und Geschlechtergleichheit
Was hat all das mit Nachhaltigkeit zu tun? Ein Blick auf die SDGs (Sustainable Development Goals) gibt Antworten. SDG 5 fordert Geschlechtergleichheit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen – einschließlich gleichberechtigter Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben. Doch die Realität zeigt: Es braucht Festivals wie WIA, um Frauen überhaupt sichtbar zu machen. Sind sie wirklich so unsichtbar? Oder ist es schlicht eine Frage des Wollens und Könnens?
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nennt eine erschreckende Zahl: Beim aktuellen Tempo würde es noch 140 Jahre dauern, bis Frauen in Deutschland gleichberechtigt in Macht- und Führungspositionen vertreten sind. Wir schrieben dann also das Jahr 2165. Diese Zahl sollte mindestens wachrütteln. Uns hat sie zum Handeln bewogen.
Auch die Politik nimmt das Thema wieder in den Fokus: Bärbel Bas, neue Bundesministerin für Arbeit und Soziales, fordert in einem Interview mit der Bild am Sonntag – mehr Vollzeit für Frauen, genau genommen spricht sie von mehr Vollzeit für Mütter.
Doch was würde das für unsere Gesellschaft bedeuten?
Mehr Arbeitszeit für Mütter funktioniert nur, wenn Männer entsprechend kürzertreten. Das bestätigt auch ein Artikel auf brigitte.de, der Bas’ Vorschlag als „zu kurz gedacht“ kritisiert. Denn Frauen tragen laut Statistischem Bundesamt immer noch 44,3 % mehr unbezahlte Arbeit als Männer – sei es in der Kinderbetreuung, Pflege oder im Haushalt (Gender Care Gap, 2024). Mehr Erwerbsarbeit für Frauen und damit auch für Mütter würde also entweder zu einer noch größeren Doppelbelastung führen – mit gesundheitlichen Risiken – oder erfordert eine gerechtere Aufteilung der Sorge- und Haushaltsarbeit.
Außerdem stellt sich die Frage: Wer übernimmt dann wichtige gesellschaftliche Aufgaben wie Ehrenamt, Nachbarschaftshilfe oder kommunalpolitisches Engagement, wenn alle nur noch Vollzeit arbeiten?
So einfach ist die Lösung also nicht – sie wirft neue Fragen auf.
Ein spannender Impuls aus meinen Gesprächen zu dieser Kolumne: Wie schaffen es eigentlich unsere skandinavischen Nachbarn, dort funktioniert das doch schon viel besser? Oder?!
Weitere spannende Impulse gaben mir die REAL ESTATE ARENA (kurz: REA), Immobilienmesse und Zukunftskonferenz und ein Gespräch mit Hartwig von Saß, dem Abteilungsleiter Neue Messen & Events der Deutschen Messe AG.
Die REA bot dieses Jahr nämlich die Möglichkeit, for free sein Kind und eine Betreuungsperson mit auf die Immobilienmesse zu bringen und dort dann auch entsprechende Räumlichkeiten, die genutzt werden konnte – inklusive voll ausgestattetem Wickelraum. Hartwig von Saß erzählte mir, dass solche Ideen im diversen Team entstehen – und am besten funktionieren. Besonders Eltern kleiner Kinder nutzten Angebot à la „Småland“ nicht gerne oder gar nicht. Auch gibt es hier natürlich Fragen der Haftung; zeitgleich entstehen hohe Kosten. Von daher ist die auf der REA umgesetzte Idee in meinen Augen eine tolle Sache und ermöglicht Müttern/Vätern/Eltern die Teilnahme an der Messe, wozu sie sonst eventuell nicht die Möglichkeit gehabt hätten.
Das Beispiel zeigt: Wir müssen Eltern und Familien bei Veranstaltungen und im Arbeitsleben aktiv mitdenken – sei es durch flexible Arbeitszeiten oder Betreuungsangebote vor Ort. Auch ich fühle mich hier „an die Nase gefasst“. Was habe ich mir dabei gedacht – selbst Mutter zweier Kleinkinder – ein WIA-Event um 18.30 Uhr zu planen, was vor allem auch Frauen einladen soll zu netzwerken, ohne eine Kinderbetreuung anzubieten? Das würde ich das nächste mal in jedem Fall anders machen. Man lernt eben nie aus!
Ein Blick nach vorne
Das Women in Architecture Festival 2025 bietet vom 19. bis 29. Juni 2025 eine Plattform, um weibliche Akteur:innen sichtbarer zu machen – durch Ausstellungen, Workshops und mit Diskussionsrunden. Es beleuchtet nicht nur die Leistungen von Frauen in der Baukultur, sondern auch die Bedeutung von Diversität für nachhaltige Entwicklungen.
Es gibt Frauen eine Bühne für Ihr Tun.
Der wir sind dran : verband engagiert sich in diesem Juni mit seinen drei Regionalgruppen Baden-Württemberg, Niedersachsen sowie Sachsen und lädt zu Formaten wie Filmvarieté, Führung, Stadtspaziergang und WortBauerei ein.
Vielleicht müssen wir nach dem Festival im Juli oder August resümieren, was WIA bewirken konnte. Doch eines ist klar: Die Baustelle Gleichstellung bleibt eine Herausforderung – nicht nur für die Baubranche, sondern für unsere gesamte Gesellschaft.
Autor:in
Christina A. Schindler, verband@wirsinddran.jetzt
Expertin für Personalführung und -entwicklung sowie Gründungsmitglied des wir sind dran : verband für Nachhaltigkeitsmanagement im Bauwesen e.V.
Regionalgruppe Sachsen
