Innovation besteht aus vielen Schritten

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Ein Gespräch mit ­Christina Zimmermann von Schüßler-Plan

Bild 1 Christina Maria Zimmermann, M.Sc.
Quelle: Schüßler-Plan/Heinrich Holtgreve
Wir reden heute über Nachhaltigkeit in der Baubranche – ein Thema, das in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen hat. Seit wann ist Nachhaltigkeit bei Schüßler-Plan ein Thema?

Es gibt einige ökologisch nachhaltige Tätigkeiten in unserer Vergangenheit, die tatsächlich an einem Datum festzumachen sind. In Berlin arbeiten wir beispielsweise seit dem Jahr 1995 mit unserer Abteilung Umwelt- und Landschaftsplanung intensiv an einer angemessenen Berücksichtigung von Umweltaspekten in der Mobilitätsplanung. Im Jahr 2015 haben wir uns im Rahmen des ÖKOPROFIT-Programms der Landeshauptstadt Düsseldorf erstmals hinsichtlich unseres eigenen CO2-Fußabdrucks zertifizieren lassen. Wesentliche Erkenntnisse aus der Teilnahme waren, dass die Einsparung von CO2 auch mit monetären Einschränkungen einhergehen und mit dem Bewusstsein eines jeden Einzelnen viel bewegt werden kann. Inzwischen gehen unsere Überlegungen allerdings über die im Rahmen der Zertifizierung 2015 getroffenen Maßnahmen wie die Anschaffung von Fahrradstellplätzen, die Umstellung auf S/W-Druck sowie Ökopapier oder den Wechsel des Stromtarifs hinaus.

Und wie ist die Sicht heute?

Das gestiegene gesellschaftliche Bewusstsein für den Klimaschutz erhöht nicht nur den Druck auf die Politik, sondern natürlich auch auf Unternehmen, sich dem Thema aktiv zu stellen. Oft neigen wir Ingenieure dazu, neue Baustoffe, Bauweisen oder Planungsansätze in Perfektion zu entwickeln und normativ bis ins kleinste Detail zu regeln, bevor wir in die Realisierung gehen. Aber das Thema Nachhaltiges Bauen erfordert, dass wir mehr Mut beweisen, Dinge ausprobieren, Ergebnisse prüfen und dann vielleicht nachsteuern. Wichtig ist aus meiner Sicht auch, nicht nur das große Ganze zu sehen, sondern sich Schritt für Schritt den langfristigen Zielen zu nähern. So kommt man oft schneller voran als mit unrealistischen, zu ambitionierten Nachhaltigkeitszielen.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Ja, zum Beispiel ist das Thema Holzbau wie kein zweites mit dem Nachhaltigkeitsgedanken der Bauwirtschaft verknüpft. Hier sind aktuell je nach Nutzung oftmals komplizierte Details notwendig, wie zum Beispiel beim Brandschutz oder einem variablen Anschluss nichttragender Wände für eine flexible Grundrissgestaltung. Das sollte jedoch kein grundsätzliches Hindernis für den Einsatz von Holz sein. Abgesehen davon eignet sich nicht jedes Tragwerk dazu, in Holzbauweise errichtet zu werden. Wichtig ist doch, dass man sämtliche Maßnahmen und Aspekte prüft, um für jedes Projekt individuell einen Mix aus Nachhaltigkeitsaspekten umzusetzen und so ein Projekt maximal nachhaltig zu entwickeln.

Das ist für ein großes Büro sicher kein Problem …

Deutschlandweit haben wir als Büro ein sehr breites Leistungsspektrum und damit viele Möglichkeiten der Veränderung, der Verbesserung. Aber der schnelle Zuwachs an Knowhow muss über alle Standorte von uns hinweg koordiniert werden, sodass das ganze Wissen auch voll umfassend genutzt werden kann. Wir haben dazu einen intensiven internen Erfahrungsaustausch gestartet mit wöchentlichen News zur Nachhaltigkeit und Innovation, aber auch mit Workshops und zahlreichen anderen Treffen.

Wie ist Ihr persönlicher Bezug zur Nachhaltigkeit?

Während meines Studiums an der RWTH Aachen war das inhaltlich noch kein großes Thema, vielleicht kam das Thema der Materialeffizienz dem heutigen Nachhaltigkeitsdenken am nächsten. Aber ökonomische Ansprüche zu ökologischen Ideologien zu machen, ist zu kurz und zu einfach gedacht. Es waren wohl mehr architektonisch interessante, schlanke Tragstrukturen, die gereizt haben.

Sicher auch durch vielfältige äußere Einflüsse denke ich immer mehr über das eigene Handeln nach. Heute ist mir bewusst, dass auch ich als Einzelperson, Ingenieurin und Geschäftsführende Gesellschafterin handeln muss und dies auch will, auch wenn es zuerst nur kleine Schritte waren.

Deshalb setze ich mich auch im Rahmen meiner Vorstandstätigkeit beim VBI für den Klimaschutz ein. Wir diskutieren in kleineren Gruppen zu Themen wie der grauen Energie, Bauen im Bestand oder dem Weg zum CO2-neutralen Büro. So wollen wir Informationen und Hilfestellungen für möglichst viele Ingenieurbüros in einfacher Weise zugänglich machen. Ich möchte, dass wir als Ingenieur:innen Verantwortung übernehmen, sichtbar sind und auch eine Vorbildfunktion einnehmen.

Das klingt sehr engagiert.

Ja, letzten Endes wird sich keiner vor einer nachhaltigen Lebens- und Arbeitsweise verschließen können. Was mich dabei auch antreibt, ist der soziale Aspekt. Nehmen wir die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden, die zum Erreichen der Klimaziele zwingend erforderlich ist, als Beispiel: das müssen sich die Eigentümer – und das sind eben nicht nur Immobilienkonzerne – auch leisten können. Ich wünsche mir, dass dabei die Vermarktungschancen renovierter nachhaltiger Gebäude deutlich steigen.

Die Förderung von Energieeffizienzhäusern wurde im Januar recht unerwartet eingestellt.

Der vorzeitige Förderstopp hat uns sehr überrascht, auch wenn es insgesamt der richtige Schritt ist. Der Effizienzhaus 55 Standard hat sich bereits durchgesetzt, eine weitere Förderung ist damit zu wenig ambitioniert. Außerdem ist in den letzten Jahren der Energieverbrauch eines Gebäudes auch dank der Förderprogramme immer weiter gesunken. Der Hebel zum Einsparen von CO2-Emissionen wird in dem Bereich also immer geringer und damit rücken andere Emissionen, wie zum Beispiel die grauen Emissionen, in den Vordergrund der Betrachtung.

Das Tragwerk und damit die Tragwerksplanung ist wegen des erheblichen CO2-Fußabdrucks, der verbauten grauen Energie heute neben der Betriebsphase ebenso in den Fokus der Betrachtung gerückt. Wie spiegelt sich das in der täglichen Arbeit wider?

Für uns fängt das Thema bei der Beratung zum Kaufentscheid an und zieht sich dann bis zur Realisierung fort. Im Hochbau ist zur Einsparung von CO2 die Wahl des Deckensystems eine entscheidende Komponente. Hier stellen wir gerne Tragsysteme aus verschiedenen Materialien gegenüber und vergleichen so zum Beispiel Materialverbrauch, CO2-Verbrauch und Kosten. Aber auch die geplante Nutzungsdauer eines Bauwerks trägt erheblich zur Gesamtökobilanz bei. Statt der für Infrastrukturprojekte geplanten Nutzungsdauer von 100 Jahren setzen wir beim Tragwerk der neuen Köhlbrandquerung in Hamburg, einem in geschlossener Bauweise mit Schildvortrieb geplanten Tunnel, auf eine Nutzungsdauer von 130 Jahren.

Bild 2 BIM-Visualisierung des Köhlbrandtunnels
Quelle: Schüßler-Plan
Inwiefern hilft denn bei den Nachhaltigkeitsthemen die Digitalisierung?

Die Digitalisierung hilft uns sowohl in technischen als auch in organisatorischen Fragestellungen. Wir brauchen innovative und integrale Planungsansätze, damit wir beim Thema Nachhaltigkeit auch nach vorne gehen können. Deshalb bearbeiten wir nahezu jedes Projekt so, dass standortübergreifendes Arbeiten und damit auch der Knowhow-Transfer sichergestellt werden. Die Erstellung eines 3D-Modells und die Anlehnung an die BIM-Methode sind bei uns Standard. So steigern wir nicht nur unsere Qualität, wir können auch Kosten und CO2-Emissionen bauteilbezogen ermitteln.

Optimierung erfolgt ja heute oft auch über parametrisches Design. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Gerade in den frühen Leistungsphasen haben wir damit schon sehr gute Erfahrungen gemacht. Eine parametrische Tragwerksplanung ermöglicht schnelle, umfangreiche und fehlerfreie Varianten- und Parameterstudien von Ingenieurbauten direkt zu Beginn des Projekts. Auch im Hochbau nutzen wir diese Methode beispielweise für die Optimierung des Gewichts von weitgespannten Flächentragwerken durch die Analyse von Stababständen, Krümmungen und Profilabmessungen sowie weiteren Faktoren.

Bild 3 Visualisierung zum parametrischen Design: optimierte Pfeilerposition am Beispiel der Talbrücke Bremecke bei Lüdenscheid
Quelle: TU Dortmund
Wie ist das mit der Wiederverwendung von Bauteilen etc.?

Design-for-Deconstruction, also zum Beispiel reversible Anschlüsse oder Bauteile mit gut trennbaren Materialien, spielen vermehrt eine Rolle. Hier muss sich in Zukunft aber noch einiges bewegen, um von teuren und langwierigen Zulassungen im Einzelfall hin zur breiten Umsetzung zu kommen. Aber insbesondere bei Stahlbauten sehe ich hier viel Potenzial. Vor gut zwei Jahren haben wir uns an einem internationalen freundschaftlichen Wettbewerb bei den europengineers beteiligt, mit der Aufgabenstellung, eine Fabrikhalle von Renzo Piano aus dem Jahr 1990 ressourcenschonend umzubauen. Einzelne Bauteile wurden mit etwas Kreativität nach dem LEGO-Prinzip wiederverwendet. Eine spannende Aufgabe, die wir inzwischen auch bei einem realen Projekt in NRW verwirklichen wollen.

Ist das etwas, das Sie auf Anfrage machen?

Ich sehe uns als Ingenieur:innen in der Pflicht, zu beraten und an Lösungen zu denken, die ein Auftraggeber nicht unbedingt sofort vor Augen hat. Umso schöner ist es für uns dann, wenn unsere Ideen und Empfehlungen bauherrenseitig Anklang finden und realisiert werden.

Es wird viel über neue Baustoffe gesprochen. Was ist Zukunftsmusik, was wird aktuell probiert?

Wir diskutieren in der Tat viel. Biologische Materialien wie Myzel als Ersatz für Styropor sind sicher sehr interessant, aber noch nicht in der Praxis angekommen. Aktuell versuchen wir eher die bekannten Baustoffe speziell für das einzusetzen, was sie besonders gut können. So ist der Einsatz von Beton, am besten CO2-reduziert, vor allem für druckbeanspruchte Bauteile, also für Stützen oder Wände geeignet. Für biegebeanspruchte Deckenkonstruktionen machen Verbundkonstruktionen aus Holz oder Stahl in Verbindung mit Beton aus statischer und ökologischer Sicht einfach mehr Sinn.

Und R-Beton?

Sicher, R-Beton ist immer eine Überlegung wert. Vor allem vor dem Hintergrund der Ressourcenschonung kann Recyclingbeton einen Beitrag leisten. Aber die Verfügbarkeit von Anbietern und Aufbereitern von R-Beton ist nicht gerade groß und lange Transportwege machen R-Beton oft wieder uninteressant und eben nicht mehr ökologisch. Zumal die CO2-Einsparungen gar nicht so groß sind, da Zement, also die Komponente mit dem höchsten CO2-Fußabdruck, auch bei R-Beton nach wie vor zugemischt werden muss. Im Übrigen dürfen auch nur maximal 45 % der Gesteinskörnung durch ­R-Beton ersetzt werden. In der Schweiz gibt es statt der Grenze nach oben nur eine Grenze von 25 % nach unten, hier sind die normativen Randbedingungen in Deutschland also viel strenger.

Ein anderes großes Nachhaltigkeitsthema ist die Nutzung dessen, was schon da ist.

Ja absolut, Bauen mit und im Bestand gewinnt stetig an Bedeutung. Durch den Umbau von Gebäuden kann im Vergleich zum Neubau ein Großteil an grauer Energie eingespart werden. Es ist also der beste Weg, um Ressourcen zu sparen. Aber es ist noch lange nicht möglich, jedes Bauwerk zu erhalten. Materialschäden, geringe Deckenhöhen, starre Grundrisse oder eine Diskrepanz zwischen alten und neuen Anforderungen an den Brand- oder Schallschutz sind einige der Herausforderungen. Momentan leisten wir es uns aber noch zu oft, einem bestehenden Bauwerk sämtliche architektonische Ideen und Grundrisswünsche aufzwingen zu wollen mit dem Ergebnis, dass das Gebäude nicht zu erhalten ist. Wir werden in Zukunft Einschränkungen akzeptieren müssen. Deshalb prüfen wir immer alle Optionen für den Erhalt in Hinblick auf einen vertretbaren Aufwand. Schließlich ist es schon eine tolle, teils durchaus kreative Aufgabe für uns Ingenieur:innen, aus gegebenen Randbedingungen Neues zu schaffen.

Bei all den offensichtlichen Entwicklungen, wie werden die Mitarbeiter:innen auf dem Laufenden gehalten?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Für uns sind Weiterbildung und Kommunikation elementar, und das nicht nur im Bereich der Nachhaltigkeit. Über unsere eigene Schüßler-Plan Akademie bieten wir unseren Mitarbeiter:innen auf ihre Bedürfnisse und unseren Anspruch zugeschnittene Fortbildungen an. Darüber hinaus haben wir verschiedene Fachbereichsgruppen, die sich fachlich intensiv austauschen und neue Erkenntnisse, zum Beispiel über Erfahrungen mit CO2-reduziertem Beton oder hybriden Tragstrukturen, austauschen.

Abschließend, wie erreichen wir gemeinsam mehr Nachhaltigkeit beim Bauen?

Sie sagen es ja schon: nur gemeinsam. Alle Planungsbeteiligten einschließlich des Auftraggebers müssen eine Sprache sprechen und das Ziel der Nachhaltigkeit nicht aus den Augen verlieren, wenn es um Kosten geht. Die Politik kann den Prozess mit dem Setzen geeigneter Leitplanken unterstützen. Ausführende Firmen frühzeitig in den Planungsprozess zu involvieren, kann ebenfalls bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsaspekten helfen. Wir wünschen uns jedenfalls mehr Partneringverfahren. Innovation besteht für mich aus vielen kleinen Schritten, die wir gehen müssen und bereits gehen. Es wird ein langer Weg.


Christina Maria Zimmermann, M.Sc.
Geschäftsführende Gesellschafterin Schüßler-Plan GmbH
Geschäftsführerin Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft mbH

Christina Maria Zimmermann, geb. Schüßler, wurde 1988 geboren und studierte an der RWTH Aachen Bauingenieurwesen mit dem Schwerpunkt Konstruktiver Ingenieurbau. Ihr Masterstudium absolvierte sie mit Auszeichnung. Nach ihrem Studium arbeitete Zimmermann zunächst in der Schweiz, bei der Flückiger + Bosshard AG in Zürich, im Hoch-, Brücken- und Ingenieurbau. Anfang 2015 wechselte sie zu Schüßler-Plan und verantwortete dort als Projektleiterin verschiedene Hoch- und Ingenieurbauwerke von der Entwurfs- bis zur Ausführungsplanung. 2018 wurde sie Gesellschafterin der Schüßler-Plan GmbH. Seit 2020 ist sie Geschäftsführende Gesellschafterin der Schüßler-Plan GmbH sowie Geschäftsführerin der Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft Düsseldorf mbH. Seit 2021 gehört Christina Zimmermann als erste Frau dem Bundesvorstand des VBI an.

www.schuessler-plan.de

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