Nachhaltigkeit im Geschosswohnungsbau mit ­zirkulärem Bauen

Speicher für Baumaterialien statt Endlager auf der Deponie

Im Gebäudebereich haben sich die Klimaschutzmaßnahmen bisher v. a. auf den energie- und ressourcensparenden Betrieb von Bestandsgebäuden und Neubauten konzentriert. Inzwischen wird auch verstärkt über die ökologische Verträglichkeit und die Treibhausgasemissionen von Baumaterialen nachgedacht. Die eingesetzten Baustoffe verursachen derzeit über 50 % der Klimagasemissionen im Gebäudebereich. Das Bauwesen sorgt für 52 % des Abfallaufkommens und 90 % der Inanspruchnahme mineralischer Ressourcen. Das muss, kann und wird sich ändern.

Im Geschosswohnungsbau kommunaler Wohnungsunternehmen ist der nachhaltige Umgang mit Baustoffen eine besonders große Herausforderung. Eine möglichst hohe Anzahl an Wohnungen zu möglichst geringen Kosten zu produzieren, bleibt vorrangiges Ziel, um die breite Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum versorgen zu können.

Anders als etwa im Bereich der Eigentumswohnungen für den gehobenen Bedarf sind hier die Budgets für ökologisch verträgliches Bauen besonders knapp. Auch von politischer Seite sind die Bauherren zunehmend gefordert, auf Nachhaltigkeit beim Einsatz von Baumaterialen zu achten – in Berlin durch die Anerkennung der Klimanotlage am 10. Dezember 2019 des Senats und die Verstärkten Maßnahmen Berlins in Anerkennung der Klimanotlage vom 8. Juni 2021, mit denen auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen stärker in die Pflicht genommen werden.

Im Geschosswohnungsbau kann wegen hoher Fertigstellungszahlen allein schon durch den Skaleneffekt auch mit kleinen Verbesserungen viel erreicht werden. Gerade die kommunalen Wohnungsunternehmen tragen zudem eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die über die reine Versorgung der Bevölkerung mit günstigem Wohnraum hinausgeht – und sie haben Vorbildfunktion für andere Bauträger.

Die energetische Optimierung und der klimaneutrale Betrieb von Wohngebäuden sind bereits weitgehend erforscht, die Grenzen dessen, was hier mit angemessenem Aufwand-Nutzen-Verhältnis möglich ist, sind weitgehend ausgelotet. Im Bereich der Baustoffe gibt es dagegen noch Nachholbedarf.

Viele Fragen sind noch unzureichend geklärt: Welche materiellen Ressourcen führen zu einer weiteren signifikanten CO2-Einsparung? Wie viel CO2 kann durch die Verwendung von ökologischen Baustoffen wie Holz, Zellulose und Recyclingmaterial im Vergleich zu konventionellen Materialien eingespart werden? Kann ein ökologisch vorteilhafter Geschosswohnungsbau auch wirtschaftlich konkurrenzfähig sein? Lohnen sich höhere Baukosten langfristig gesehen ökologisch wie wirtschaftlich?

Holz, Ziegel, Lehm – Pilotprojekt zum nachhaltigen Geschosswohnungsbau

Die STADT UND LAND geht diesen Fragen nun mit einem Pilotprojekt auf den Grund. Sie errichtet zwei Gebäude, deren Lagen (Bild 2),

Grundrisse, Gestalt und Geschossigkeit gleich sind – einmal in Ziegel-Holzbauweise und einmal als Holz-Lehmbau (Bilder 1, 3).

Ziel ist es, die CO2-Emissionen um mindestens 50 % durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe in der Gebäudehülle zu reduzieren und die ökologische Bilanz der beiden Bauweisen untereinander, aber auch mit der herkömmlichen Standardbauweise in der Nachbarschaft vergleichen zu können.

Die beiden Gebäude fügen sich städtebaulich in die Umgebung ein. Sie verfügen über 36 Mietwohnungen, 18 davon sind barrierefrei und sechs werden für die Vermietung an Inhaber eines Wohnberechtigungsscheins gefördert. Der Bauantrag wird in Kürze eingereicht und die Fertigstellung ist nach eineinhalb- bis zweijähriger Bauphase für das 3. Quartal 2024 geplant.

Unterstützt wird das Projekt durch die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz und durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt. Prof. Elisabeth Endres vom Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur an der TU Braunschweig, Prof. Eike Roswag-Klinge vom Natural Building Lab der TU Berlin und Prof. Piero Bruno vom Institut Wohnen und Entwerfen der Universität Stuttgart begleiten das Forschungsprojekt wissenschaftlich. Sie beobachten, messen, bewerten und vergleichen die Gebäude bei ihrer Errichtung und ihrem anschließenden Betrieb.

Noch in der Konzeptionsphase findet ein wissenschaftlicher Vergleich von ökologischer und ökonomischer Wirkung der Gebäude im Lebenszyklus statt. Dazu werden die Daten der Gebäudevarianten mit Simulationen und Nachhaltigkeitsberechnungen nach der klassischen Ökobilanz (LCA – Life Cycle Assessment) und nach den Lebenszykluskosten (LCC – Life Cycle Cost Assessment) gegenübergestellt. Die Gebäude werden möglichst robust, einfach, solide und langlebig konzipiert. Zirkuläres Bauen, also Wiederverwendung und Sicherung der Wiederverwendbarkeit von eingesetzten Bauteilen und Bauteilkomponenten, ermöglicht Materialkreisläufe statt Einmalbenutzung mit anschließend notwendiger abschließender Entsorgung. Dazu tragen bspw. hohe Anteile an recyceltem und recyclingfähigem Material bei oder auch reversi­ble Verbindungen zwischen den Bauteilen. So wird aus einem Gebäude ein Materiallager für künftige Wieder- und Weiterverwendung von Materialien.

Bereits in der Bauphase soll sich der Technikeinsatz auf das ­Notwendigste beschränken. So lassen sich Abfälle und CO2-Emissionen vermeiden. Auf aufwendige Gebäudetechnik sowie ­Klima- und Lüftungstechnik wird verzichtet. Stattdessen sorgen Bau­materialien, Oberflächen und eine klimaangepasste Gebäudegestaltung für ein angenehmes und gesundes Raumklima (Bilder 4–9).

Ein Beispiel hierfür ist, Feuchträume so zu platzieren, dass sie mit der Fassade abschließen, und sie mit feuchtigkeitsaufnehmenden und -abgebenden Wänden aus natürlichen Materia­lien zu versehen. Anders als Feuchträume, die sich im Gebäudekern befinden und hermetisch abgedichtet sind, kann dann auf eine aufwendige Belüftungstechnik verzichtet werden. Der Lowtech-Ansatz senkt zudem die künftigen Betriebskosten durch den geringeren Aufwand für Instandhaltung und Instandsetzung.

Die Einhaltung aller aktuell geltenden Anforderungen des Wärme-, Schall- und Brandschutzes ist bei diesem Pilotprojekt zwar selbstverständlich und nicht unmöglich, aber schwierig und teuer. Langfristig ist die These zu überprüfen, dass hohe Anfangsinvestitionen die Langlebigkeit von Gebäuden verbessern und die Instandsetzungsintervalle verlängern. Wenn dies gelingt, könnte der viel zitierte Wiederspruch zwischen Ökologie und Ökonomie ganz oder in Teilen aufgelöst werden. Die Frage muss aber auch erlaubt sein, ob gewisse gesetzliche Standards, die vor langer Zeit entwickelt wurden, heute noch zeitgemäß sind oder ob sie besser an die neuen Herausforderungen durch den Klimawandel und die Nachhaltigkeitsziele angepasst werden sollten.

Die bisherige Arbeit am Pilotprojekt hat auch gezeigt, dass es kaum geeignete gesetzliche Grundlagen für Real-Labore wie dieses gibt. Das erschwert ebenfalls die Konzeption und Realisierung zukunftsweisender Modellprojekte im Gebäudebereich, mit denen die These überprüft werden kann, ob ökologische und ökonomische Ziele mit guten innovativen Ideen in Einklang gebracht werden können und ob sie auf die Anerkennung und Wertschätzung bei den Nutzerinnen und Nutzern stoßen.


Autor

Ingo Malter, ingo.malter@stadtundland.de
STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft mbH, Berlin
www.stadtundland.de

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