Vom CO2-Fußabdruck zur Nachhaltigkeits­strategie

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Ein Gespräch mit Dr. Albert Dürr von Wolff & Müller

Mit 2100 Mitarbeitern an 25 Standorten im Bundesgebiet gehört Wolff & Müller zu den führenden Bauunternehmen Deutschlands in privater Hand. Das Familienunternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst nachhaltig zu bauen und zu wirtschaften. Wie will es das erreichen?

Herr Dr. Dürr, was verstehen Sie unter Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit verbinden viele mit Umwelt- und Klimaschutz. Aber echte Nachhaltigkeit ist mehr. Für Unternehmen, insbesondere Familienunternehmen, bedeutet sie, so zu wirtschaften, dass es nicht zulasten kommender Generationen geht. Das hat nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische und soziale Aspekte. Wir übernehmen Verantwortung für die Bedingungen, unter denen unsere Bauwerke entstehen, etwa indem wir CO2-neutral bauen, für gute Arbeitsbedingungen sorgen oder uns gegen Schwarzarbeit in unserer Branche engagieren. Als Bauunternehmen ist unser größter Beitrag jedoch, möglichst gut und störungsfrei zu planen und zu bauen.

Ich glaube, dass
Wirtschaftlichkeit
und Nachhaltigkeit
Hand in Hand gehen

Warum ist störungsfreies Bauen nachhaltig?

Generell entsteht bei Bauprojekten eine Menge Arbeits-, Zeit- und Kostenverschwendung aufgrund von zu spät getroffenen oder nicht hinreichend abgestimmten Entscheidungen – das können 30 % oder mehr des Bauvolumens sein. Es liegt zum Teil an der produktionsbegleitenden Planung, die typisch für die Bauwirtschaft ist, die andere Branchen aber nicht kennen. Ineffiziente Prozessstrukturen, die späte Integration von Projektbeteiligten in den Planungsprozess, mangelnde Transparenz und Kommunikation innerhalb des Baunetzwerks – das alles birgt ein Fehlerpotenzial und kann die Baukosten in die Höhe treiben. Ich glaube, dass Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen. Wenn optimierte, schlanke Prozesse beim Bauen Material, Zeit und Geld einsparen, motiviert das viele Beteiligten stärker als vermeintlich abstrakte und fernliegende Klimaschutzziele.

BIM verbessert die Abstimmung im Projektteam und macht es leichter, Fehler und Verschwendung zu vermeiden 
Quelle: Swen Carlin
BIM verbessert die Abstimmung im Projektteam und macht es leichter, Fehler und Verschwendung zu vermeiden
Quelle: Swen Carlin

Wie gelangt die Bauwirtschaft dahin – zu den optimierten Prozessen?

Jedes Bauwerk ist ein Unikat, doch die Prozesse, die zum Bauwerk führen, können wir so effizient und schlank wie möglich gestalten. Im ersten Schritt analysieren wir die täglichen Abläufe und überlegen, wie wir sie standardisieren und in unserer Prozesslandschaft abbilden können. Danach wird der Prozess – so weit nötig, möglich und sinnvoll – digitalisiert, vielleicht sogar automatisiert. Digitalisierung ist kein Selbstzweck; die neuen Methoden und Tools müssen auf den Baustellen und in den Büros auch wirklich nützlich sein und von den Mitarbeitenden akzeptiert und angewendet werden. Wir nutzen bspw. BIM im Sinne von Building Information Management: Es geht uns darum, den Entstehungsprozess eines Bauwerks sichtbar zu machen und im gesamten Projektteam gemeinsam zu managen. Auch Lean-Methoden wie das Last-Planner-System, die Taktplanung und -steuerung sowie das Shopfloor-Management sind sehr hilfreich, um die Abläufe auf der Baustelle möglichst effizient zu steuern. Das serielle, modulare Bauen spart ebenfalls Ressourcen: In kürzester Zeit lassen sich ganze Gebäude aus vorgefertigten Holzmodulen errichten, wie unser aktuelles Projekt mit Aktivhaus für die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft zeigt.

Es geht uns darum, den Entstehungs­prozess eines ­Bauwerks sichtbar zu machen

Sie sprachen davon, dass Sie CO2-neutral bauen. Wie funktioniert das?

Wer seine Emissionen senken will, muss zuerst wissen, wie viel davon er an welcher Stelle ausstößt. Die Basis ist deshalb der Corporate Carbon Footprint (CCF), eine detaillierte Bilanz des unternehmenseigenen CO₂-Ausstoßes. Unsere Tochtergesellschaft Wolff & Müller Energy hat diesen Fußabdruck 2010 zum ersten Mal für all unsere Unternehmensbereiche errechnet. Der CCF wird jährlich erneuert und immer weiter verfeinert. Zum Beispiel erfassen wir seit vergangenem Jahr auch Teile der Treibhausgase in der vor- und nachgelagerten Lieferkette, sog. Scope-3-Emissionen, die etwa durch Fahrten zum Arbeitsplatz oder Geschäftsreisen entstehen. Zusätzlich erfassen wir die CO2-Intensität. Das bedeutet: Wir setzen die absoluten Emissionen ins Verhältnis zu unserem Umsatz.

Und diese Emissionen werden dann kompensiert?

Der Grundsatz lautet: Reduzieren vor Kompensieren. Auf Grundlage ihres CCF können Unternehmen einen wirksamen Emissions-Einsparplan erarbeiten. Wolff & Müller hat bspw. ein zertifiziertes Energie-, Umwelt- und Qualitätsmanagementsystem, arbeitet an allen Standorten und Baustellen mit 100 % Ökostrom, modernisiert seinen Fuhrpark und sensibilisiert seine Mitarbeitenden zum Energiesparen. So schaffen wir es, dass unsere Emissionen langsam, aber stetig sinken. Um das noch anfallende CO2 zu kompensieren – zuletzt waren es rd. 28.000 t/Jahr –, investieren wir über die unternehmensnahe Wolfgang-Dürr-Stiftung in Klimaschutzprojekte wie die Wiederaufforstung und Erhaltung von Regenwald.

Was ist mit den Emissionen, die Bauwerke nach dem Bauen ausstoßen?

Die Emissionen beim Bauen sind nur ein Teil der Gesamtemissionen eines Bauwerks. Viel CO2 entsteht in der langen Betriebsphase etwa durch die Strom-, Wärme- und Kälteversorgung. Deshalb ist es wichtig, den gesamten Lebenszyklus von Bauwerken zu betrachten, von der Planung bis zum späteren Rückbau. Zertifizierungssysteme – etwa von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – helfen Projektteams, von Beginn an systematisch alle relevanten Kriterien im Blick zu behalten. Wir beraten unsere Bauherren entsprechend und begleiten sie durch den gesamten Zertifizierungsprozess. Im Übrigen ist der einfache Rückbau eine der großen Stärken des modularen Bauens. Die Module bestehen hauptsächlich aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz und lassen sich am Ende des Gebäude-Lebenszyklus wieder vollständig in technische oder biologische Kreisläufe zurückführen.

Ich würde mich
nicht auf den einen ­Baustoff festlegen, ­sondern plädiere für Technologieoffenheit

Ist Holz generell der Baustoff der Zukunft, wenn es um Nachhaltigkeit geht?

Holz spielt eine große Rolle, sei es beim Modulbau oder bei der Holzhybrid-Bauweise. In Stuttgart bauen wir derzeit ein großes Bildungshaus, das vier Nutzungen in einem Gebäude vereint: eine vierzügige Grundschule, eine Sporthalle mit zwei Feldern, eine Kita für sieben Gruppen und ein Mittelzentrum der Volkshochschule. Es wird das erste öffentliche Schulgebäude dieser Größenordnung (Gebäudeklasse 5) sein, das als Holzhybrid-Bauwerk ausgeführt wird. Auch Recyclingbeton bieten wir an und haben unsere eigene Firmenzentrale zum Teil damit gebaut. Doch generell würde ich mich nicht auf den einen Baustoff festlegen, sondern plädiere für Technologieoffenheit: Die Politik sollte keine zu konkreten Vorgaben machen, sondern eher die Menge an Emissionen pro Jahr deckeln, die ausgestoßen werden darf. Wir haben schon heute tragfähige technische Lösungen und müssen darauf achten, dass sie nicht an der Verwaltung oder dem Genehmigungsprozess scheitern.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in Ihrer Unternehmensstrategie?

Wir haben intern das Gottlob-Müller-Prinzip verankert, benannt nach unserem Firmengründer, meinem Großvater. Wenn er eine Schachtel Nägel im Dreck liegen sah, wies er darauf hin, dass man so nicht mit Ressourcen umgehe. Eine wirtschaftliche Unternehmensführung und verantwortungsvolles Handeln gehörten für ihn eng zusammen, und er prägte auch die Devise: „Nicht reden. Machen!“ Inzwischen haben wir eine umfangreiche Nachhaltigkeitsstrategie, die sich an vier Anspruchsgruppen richtet: unsere Mitarbeiter, Baupartner und Kunden sowie Umwelt und Gesellschaft. Was wir für jede dieser Gruppen genau tun, fassen wir jährlich in unserem Nachhaltigkeitsbericht zusammen. Auch als Mitglied der Wirtschaftsinitiative Nachhaltigkeit (WIN) des Landes Baden-Württemberg haben wir uns dazu verpflichtet, regelmäßig über unsere Ziele und Maßnahmen zu berichten.

www.wolff-mueller.de/unternehmen/epi-prinzip/nachhaltigkeit


Dr. Albert Dürr, Geschäftsführender Ge­sell­schafter Wolff & Müller Gruppe

Dr. Albert Dürr (geb. 1975) studierte Betriebswirtschaft mit den Schwerpunkten Zwischenbetriebliche Beziehungen und Pro­jektmanagement am Bau an den Universitäten Tübingen, Berlin und Wien. 2004 promovierte der Diplomkaufmann; seit 2005 ist er im Stuttgarter Familienunternehmen tätig. Als Enkel des Firmengründers Gottlob Müller führt er die Unternehmensgruppe in dritter Generation. Von 2015 bis 2021 war er Präsident der Normungsorganisation DIN; er engagiert sich sich im Bundesvorstand des Wirtschaftsrats Deutschland und ist Mitglied des ­Aufsichtsrats der Warschauer ERBUD-Gruppe.

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