A4F konstruktiv

Wider die Vernunft

Geht es Ihnen auch so, dass die Gefahr, welche die Klimakrise noch letztes oder vorletztes Jahr ausgestrahlt hat, inzwischen in den Hintergrund gerückt ist? Diese große Dringlichkeit scheint irgendwie im Trubel der immer neuen Konflikte in eine Normalität übergegangen zu sein, die es gar nicht geben dürfte. Es mutet geradezu paradox an, dass trotz der Kenntnis über die drohende Gefahr nicht nur nicht das Richtige, sondern vielerorts auch noch das komplett Falsche getan wird. Dass die Welt nicht so vernünftig ist, wie sie sein sollte, scheint allgemein bekannt – doch woran das liegt, darüber scheiden sich im wahrsten Sinne des Wortes die Geister. 

Ein wesentlicher Teil des Problems ist, dass kaum noch jemand in der Lage zu sein scheint, das Ganze zu verstehen. Und dies ist nicht despektierlich gemeint im Sinne, dass die meisten Menschen nicht klug wären, sondern so, dass einfach alles zu komplex geworden ist. Die Wissenschaft ist besonders gut darin, herauszuarbeiten wie die Einzelteile zusammenhängen, doch büßt die Spezialisierung der Disziplinen ihre Erkenntnis mit dem Verlust der Perspektive des Gesamten ein. So ist es nicht nur in akademischen, sondern auch in sozialen Räumen. Es entstehen die berühmt-berüchtigten Filterblasen, in denen es weniger der Unwissenheit als vielmehr der Isolation des eigenen Kreises verschuldet ist, dass einem mit dem Blick nach außen die Dinge so unvernünftig erscheinen. Nicht, dass diese es nicht auch sind – doch Perspektive und der eigene Komplexitätshorizont spielen dabei eine wesentliche Rolle. Verschlimmernd kommt hinzu, dass das, was als vernünftig erscheint, sich aus Selbsterhaltung noch zusätzlich als vernünftig darzustellen versucht. Und darum vermag es durchaus einleuchtend klingen, wenn ein Unternehmen keine Projekte abwickelt, die Freiflächen zur Biodiversität erhalten, günstigen Wohnraum schaffen, mit erneuerbaren Ressourcen geplant werden u. dgl., wenn dadurch Aufträge verloren gehen, die deutlich rentabler sind oder die die Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze sichern. Aus einem bestimmten Blickwinkel erscheint dies logisch, wenngleich ein Weiterdenken dahin führen würde, dass umweltschädigende Unternehmertätigkeit – zumal, wenn sie dann auch noch bspw. für den Rüstungssektor, also zur Fortführung von militärischen Konflikten dient – die Grundlage dafür vernichtet, dass es überhaupt unternehmerische Tätigkeit und Arbeitsplätze geben kann. Das erzählen Umweltaktivisten ja bspw. seit Ewigkeiten lang und breit, woraufhin Wirtschaftsvertreter wiederum auf die Arbeitsplätze und das Wachstum verweisen. So verwickelt man sich in Streitereien, die sich über kurz oder lang in verletzten Gefühlen verhärten, anstatt einen Konsens zu finden, der für alle eine gütliche Lösung bereithielte – wie z. B. eine Befreiung von der Notwendigkeit zur Erwerbsarbeit durch ein existenzsicherndes Grundeinkommen, welches nicht nur die Möglichkeit zum Zuverdienst offenlässt, sondern Unternehmen und Einzelpersonen auch noch den Freiraum bietet, nach Werten anstatt Zwang zu arbeiten. Laut dem Gutachten des Bundesfinanzministeriums widerspricht dies jedoch dem Subsidiaritätsprinzip, welches vorsieht, dass zuallererst der Einzelne für sich verantwortlich ist und erst in zweiter Instanz die Institutionen Hilfe leisten. Was angesichts der gesellschaftlichen Verwerfungen und der resultierenden Aufrechterhaltung des zerstörerischen Wirtschaftstreibens doch eher Wahnsinn als Vernunft widerspiegelt. Es bleibt eben eine Sache der Befindlichkeiten, wie Politik gemacht wird. Und aus Wut darüber schreiben wir unvernünftige Blogs, Posts und Artikel, die das Ganze immer weiter perpetuieren. 

Mitte des 20. Jahrhunderts beschrieben Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung, wie sich der Anspruch der Aufklärung – durch die Befreiung der Menschen aus totalitären Herrschaftsverhältnissen eine vernünftige Welt souveräner Menschen zu erschaffen – durch das der Vernunft immanente Prinzip der Selbsterhaltung in die Barbarei der verwalteten Welt und des daraus resultierenden Faschismus verkehrte. Und es scheint, als wenn diese Diagnose sich nicht nur in der Gewaltigkeit des Nationalsozialismus wiederfinden ließe, sondern nun in allen Schichten des gesellschaftlichen Lebens zutage tritt, und ihre Konsequenzen auf uns in Größenordnungen zurückfallen, die unsere Mittel zur Handhabung gefährlich zu übersteigen drohen. Denn um zu verstehen, was zu tun ist, wäre es eben erforderlich, das Ganze – oder so viel davon wie möglich – nicht nur intellektuell zu verstehen, sondern auch emotional zu begreifen, um uns von der Fessel der Engstirnigkeit zu befreien und offenen Herzens aufeinander zuzugehen … was das Vernünftige wäre.

Doch ebenso wie die Unvernunft in alle Bereiche unseres Lebens Einzug gehalten hat, lässt sich die ihr immanente Dialektik – das Mitgefühl verstanden als Sorge um sich selbst und in jedem Akt des Muts erweitert zur Sorge um sich selbst wie gleichermaßen um das Ganze – anlegen, nähren und vervielfältigen. Ein ähnliches Plädoyer hielt auch Werner Sobek vor Kurzem in einem Vortrag anlässlich des zweiten Teils seiner non-nobis-Reihe Die Randbedingungen des Zukünftigen, in welchem er das von Ernst Bloch postulierte Prinzip Hoffnung nicht als ein zu empfangendes, sondern ein zu konstruierendes zitiert hat. Die Hoffnung auf eine gute Zukunft ist nicht eine auf die gewartet wird, sondern welche wir durch und in uns selbst erschaffen. 

Architects for Future Deutschland e. V.

Logo Architects for Future Quelle: Architects for Future

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