Keine Angst vor ­Veränderung!

Ein Appell für die Rückkehr zu einem angemessenen Bauverständnis

Warum haben eigentlich so viele Angst vor der Bauwende und den damit einhergehenden Veränderungen? Mehr Umwelt- und Klimaschutz in der Bau- und Immobilienbranche kann doch eigentlich nur gut sein. Die Pariser Klimaziele liegen schließlich noch in weiter Ferne. Sicher, einigen in der Branche wird im Zuge steigender Anforderungen wie einer Nachhaltigkeitsberichterstattung, der EU-Taxonomie und den ESG-Kriterien in der Risikobewertung von Immobilien klar, dass es nun endgültig ernst wird. So nennen Banker das Thema Biodiversität als aktuellen Grund für schlaflose Nächte, weil sie einfach nicht wissen, wie sie diese in der Risikobewertung einpreisen sollen. Dennoch stellt sich mir auch hier die Frage: Warum wird eigentlich so viel darüber gejammert, dass nun offengelegt werden muss, was man bereits Gutes tut – oder im Rahmen eines allgemeingültigen Verständnisses den Weg dahin gewiesen bekommt. Einheitliche Systeme für mehr Transparenz sind doch gute Mittel, oder liegt die Angst am Ende vielleicht genau hier? Wollen manche diese Transparenz etwa nicht?

Hier wird uns die Green Claims Directive der Europäischen Union weiterhelfen. Im Zuge der Richtlinie, die derzeit auf den Weg gebracht wird, werden irreführende Maßnahmen wie Eigenlabels und Marketingfloskeln kurzerhand abgeschafft. Eingeführt werden nachvollziehbare Standards zu umweltbezogenen Aussagen, die Unternehmen zu Produkten und Dienstleistungen machen. Um das sicherzustellen, müssen diese Aussagen wissenschaftlich belegbar sein. Es zählen künftig also nicht mehr nur Worte, sondern die dringend notwendigen Taten. Damit verabschieden wir uns nun endlich von dem leidigen Thema Green Washing, das insbesondere den Konsumenten in die Irre leitet und – noch viel schlimmer – für viel Verunsicherung sorgt und gerne auch zu Stillstand führt. Ohne Frage, diese Neuerung wird für viele unangenehm. Erfahrungsgemäß lohnt es sich aber, die eigene Komfortzone zu verlassen und Veränderungen zuzulassen. In unserem Fall kann diese langfristig nur positiv, wenngleich eben nicht unbedingt für alle bequem sein.

Aber wie bekommen wir diese Veränderung, die Transformation denn nun hin? Wie schaffen wir es, dass Politiker und sonstige Entscheider begreifen, dass die meisten von uns gar nicht so weitermachen wollen? Hier nämlich herrscht eine große Angst davor, negatives Feedback zu bekommen. Doch auch diese Angst ist unbegründet. Um das unter Beweis zu stellen, haben wir im Dezember 2023 zur UN-Klimakonferenz COP28 in Dubai eine weltweite Kampagne mit dem Titel #TimeToWorry gestartet. Darin fordern wir sinnvolle Richtlinien und Gesetzgebungen für eine nachhaltige Bauindustrie mit dem Fokus auf kulturell und klimatisch angemessene Bauweisen. Beim Bauen beobachte ich nämlich noch viel zu oft eine Mentalität, die stark darauf vertraut, dass mit Technik alles zu lösen ist.

Die DGNB fordert sinnvolle Richtlinien und Gesetzgebungen für
eine nachhaltige Bauindustrie
Quelle: DGNB
Die DGNB fordert sinnvolle Richtlinien und Gesetzgebungen für eine nachhaltige Bauindustrie
Quelle: DGNB

Da entsteht bspw. in einem Erdbebengebiet der schlankeste Wolkenkratzer der Welt. Aus dem einfachen Grund, weil wir es können. Das Ausreizen des technisch Machbaren scheint zu verlockend. Doch so funktioniert das nun einmal nicht. Mit schneller, höher, weiter kommen wir definitiv nicht ans Ziel. Und das ist etwas, wovor wir wirklich Angst haben müssen. Als logische Konsequenz des Größenwahns im globalen Norden wird seit 2021 in der Wüste von Saudi-Arabien The Line geplant. Eine hinter Glas abgeschirmte, 170 km lange Bandstadt für bis zu 9 Mio. Menschen, die anscheinend ohne Autos, Straßen und CO2-Emmission auskommt. Geplant und beraten wird das Projekt übrigens von zahlreichen Unternehmen aus den USA und Europa, auch aus Deutschland. Dabei ist das doch nun wirklich das absolut falsche Signal. Das Projekt hat nicht im Entferntesten etwas mit Zirkularität oder Klimaneutralität zu tun.

Sollten wir im globalen Süden nicht jene Projekte kommunizieren, die wirklich in die richtige Richtung gehen und hierzulande als vorbildliche Beispiele im Diskurs nachhaltiger Architektur gelten? Da wären bspw. die Forschungshäuser in Bad Aibling von Florian Nagler Architekten. Bei dem Wohnprojekt wurde unter dem Motto Einfach Bauen alles weggelassen, was nicht gebraucht wird – und siehe da, die Bewohner fühlen sich wohl. Oder das Berliner Hotel Wilmina. Grüntuch Ernst Architekten haben ein stark baufälliges ehemaliges Gefängnis sehr erfolgreich in einen ganz neuen Ort verwandelt. Beide Projekte treten den Beweis an, dass die Bauwende ganz ohne Angst funktionieren kann. Was zählt, sind der Wille, es gelingen zu lassen, und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen.

Wie falsch die Architektur ist, die wir derzeit bauen, zeigt auch der inflationäre Einsatz von Klimaanlagen. Eines meiner Reizthemen und Sinnbild für die vorherrschende Technikgläubigkeit. Es gibt Gebäude, insbesondere Hotels, in denen gar nicht vorgesehen ist, dass eigenmächtig gelüftet wird. Das Klimagerät regelt alles. Dem Nutzenden wird damit jedes Selbstbestimmungsrecht genommen, frische Luft in den Raum zu holen. Das zeigt für mich wie so oft, dass der überbordende Einsatz von Technik und digitalen Werkzeugen nicht der richtige Weg ist. Wir müssen also das System wieder vereinfachen und endlich aufhören, immer neue technische Innovationen zuzulassen, die zu immer neuen Problemen führen.

Hier zitiere ich immer wieder gerne den britischen Architekten Cedric Price: Technology is the answer. What was the question? Dieses provokante Zitat stammt aus dem Jahr 1966 und ist aktuell wie nie. Eine Antwort könnte sein, die bisherigen Lösungen kritisch zu hinterfragen, denn ganz offensichtlich haben sie nicht funktioniert. Der Bausektor ist nach wie vor für mehr als ein Drittel der weltweiten CO2-Emmissionen verantwortlich. Und noch immer wird frei nach dem Motto one fits all Material noch und nöcher eingesetzt und vermeintliche Komfortansprüche mit immer noch mehr Technik wettgemacht, ohne dabei auf den Ort zu achten, an dem gerade gebaut wird. Ich fordere Sie daher auf, die Petition #TimeToWorry für ein angemessenes Bauverständnis weltweit zu unterschreiben. Unser Ziel ist es, dem sog. Markt, also uns allen, eine Stimme zu geben und sowohl Politikschaffenden als auch Projektentwickelnden klarzumachen, dass Menschen sich nicht wohlfühlen in hochgetunten Gebäuden, die überall auf der Welt gleich aussehen. Was wir wollen, sind doch Räume, die den kulturellen und klimatischen Gegebenheiten des Orts entsprechen, in denen wir uns wohlfühlen.

Konkret fordern wir mit der Petition zentrale Nachhaltigkeitsprinzipien, die gleichermaßen im Entwurf, bei der Planung, im Betrieb und beim Umbau zu verankern sind:

  • Häuser und Stadtteile sind für Menschen und kein Selbstzweck oder begehbares Anlagevermögen.
  • Gebäude und Infrastruktur müssen qualitätsvoll und damit langlebig geplant, gebaut und betrieben werden – anstatt schnell und günstig zu bauen.
  • Passive und Lowtech-Gebäudekonzepte, die auf die zukünftigen klimatischen Anforderungen robust und angemessen reagieren können, müssen im Fokus stehen. Wir werden mit Technik nicht gegen den Klimawandel anbauen können.
  • Es braucht ambitionierte und verbindliche CO2-Grenzwerte für die Konstruktion und den Betrieb der Gebäude sowie Quoten für lokal bezogene, wiederverwendete und biogene Materialien, die zur Anwendung kommen.
  • Die sinnvolle und lange Nutzung und damit die Transformation des Gebäudebestands und der Städte muss im Fokus stehen.

Alle Informationen zur Kampagne #TimeToWorry gibt es unter www.buildingsensenow.com. Dort gibt es auch den Link zur Petition auf der Plattform change.org.


Autor:in

Dr. Christine Lemaitre, c.lemaitre@dgnb.de
Geschäftsführender Vorstand DGNB e. V.
www.dgnb.de

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