Schatten schätzen lernen – Nachbarschaftsgesetze auf dem Prüfstand
Es könnte bis zum Jahr 2100 um bis zu 3,9 °C wärmer werden. Das bedeutet, dass wir ein Klima wie in Zentralspanien oder -italien haben werden. Wie genau schaffen es die Spanier und Italiener, die Hitze im Hochsommer zu ertragen? Schauen wir uns mal die Bauweise ihrer Häuser an: Meistens haben die Häuser einen Patio, einen Innenhof. Dort ist es schön schattig. Auch in den Gärten hinter den Häusern hat Schatten die oberste Priorität. Zum Teil stehen große, hohe Bäume in den Gärten. Oben schirmen die Baumkronen die Sonne ab, unten wachsen Pflanzen in Beeten. Jede Baumkrone, jeder Strauch wird geschätzt, gehegt und gepflegt. Die Spanier und Italiener machen es uns vor: Um es in den zukünftigen Hitzesommern erträglich zu haben, werden wir unsere Häuser und Gärten genau auf diese Art und Weise konzipieren müssen!
Noch ein positiver Effekt von Bäumen: In Holz, Blättern und Wurzeln wird CO2 gebunden. Der Atmosphäre entzogen. Je mehr Pflanzen ihr bei euren Projekten einplant, desto mehr tut ihr aktiv was gegen die Klimaerwärmung. Ein ausgewachsener Baum bindet um die 2 t CO2 in seiner Pflanzenmasse. Das ist natürlich sehr pauschal gerechnet. Grob gesagt: In kleinen, jungen Bäumen ist weniger CO2 gespeichert, in größeren und alten Exemplaren mehr. Außerdem hängt das von der Baumart ab. Und nicht nur Bäume speichern Kohlenstoff. Jede andere Blattmasse tut das auch. Egal, ob Sträucher oder Stauden – alle Pflanzen benötigen CO2 zum Wachsen. Schottergärten binden kein CO2, ein grüner Dschungel wäre das Optimum.
Abgesehen von der CO2 -Einlagerung im Holz, sind Bäume wichtig, um die Aufenthaltsqualität an heißen Sommertagen im Außenraum zu steigern: Der Schatten eines Baums bringt eine ganz andere Qualität als der eines textilen Sonnensegels. Denn Pflanzen geben kontinuierlich Wasserdampf ab und kühlen durch die Transpiration nicht nur die Pflanze, sondern auch die Umgebung.
- Unter einer Baumkrone sind die Flächen bis zu 15 °C kühler.
- Kletterpflanzen kühlen Gebäude um bis zu 1,3 °C ab.
- Allein durch die Beschattung eines Baums kann die Temperatur am Gebäude 2–10 °C Unterschied betragen.
Der älteste Baum Deutschlands ist eine Sommerlinde (Tilia platyphyllos), man schätzt sie auf 1200 Jahre. Und die älteste Baumart? Der Ginkgo. Auch dieser kann bis zu 1000 Jahre alt werden. Das macht uns deutlich, wie langlebig ein Baum sein kann. Es kann also durchaus sein, dass die Bäume – die ihr zukünftig bitte massenhaft einplant – sogar manche Gebäude überleben. Also lohnt es sich, das wirklich passende Gehölz und den passenden Standort auszusuchen. Hier sind folgende Aspekte zu beachten: Der Baum darf nicht lästig werden, wenn er wächst. Überlegt, ob er auch in 20 Jahren ohne ständigen Schnitt an dieser Stelle stehen kann. Und außerdem muss der Baum mit dem zukünftigen Klima zurechtkommen. Hierzu gibt es div. Untersuchungen. Die Zeitschrift Klimabäume der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) bspw. enthält eine ganze Liste von empfehlenswerten Bäumen. Wer für die Zukunft bauen möchte, konzipiert möglichst viel Schatten mit möglichst viel Pflanzenmasse!
Jetzt die alles entscheidende Frage an die Politik: Warum widersprechen die Nachbarschaftsgesetze der Bundesländer diesem Gedanken? Zum Beispiel muss für einen Walnussbaum oder eine Esskastanie in Baden-Württemberg zur Grundstücksgrenze hin ein Abstand von 8 m eingehalten werden. Das würde bedeuten, dass man so ein Gehölz nur noch in Gärten von mind. 16 m × 16 m pflanzen kann. Wer hat bitte noch so viel Platz auf dem Grundstück? Es ist längst überfällig, dass die einzelnen Nachbarschaftsrechte der Bundesländer hierhingehend geändert werden. Unsere Gärten müssen schattiger werden, aber im Moment ist es uns nicht erlaubt, viele Bäume zu pflanzen. Die Nachbarschaftsgesetze der Bundesländer müssen ganz dringend auf den Prüfstand!
Stuttgarter Nachhaltigkeitsstammtisch
Termin: jeder letzte Dienstag im Monat, 18 Uhr
Ort: online, MS-Teams
Kontakt: sustainability@knippershelbig.com
Autor:in
Dipl.-Ing. Ina Timm, mail@La-Timm.de
Freie Landschaftsarchitektin, Autorin
gardens4future
www.la-timm.de