Im Gespräch mit ­Uwe ­Schneidewind

Oberbürger­meister von Wuppertal

Prof. Uwe Schneidewind
Foto: vom Stein, Medienzentrum Stadt Wuppertal

Uwe Schneidewind ist renommierter Wirtschaftswissenschaftler, war u. a. wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts und hatte eine Professur für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Bergischen Universität Wuppertal. Seit Ende 2020 ist der Grüne, der gemeinsam mit der CDU aufgestellt wurde, Oberbürgermeister der mit erheblichen Herausforderungen konfrontierten Großstadt Wuppertal. Bernhard Hauke hat mit Uwe Schneidewind über seine neuen Aufgaben gesprochen.

Sie sind ein Wissenschaftler, der für Nachhaltigkeit und Transformationsforschung bekannt ist. Was hat Sie bewogen, als Quereinsteiger in die Politik zu gehen?

Die Frage, wie sich Organisationen, Städte und Gesellschaften verändern, beschäftigt mich seit 30 Jahren – in der Beratung genauso wie an der Universität und in der wissenschaftlichen Politikberatung des Wuppertal Instituts. Die Chance zu haben, solche Veränderungen an der Spitze einer Stadt gestalten zu können, die mit Blick auf Transformation immer schon Zeichen gesetzt hat, war eine verlockende Aussicht.

„Wissenschaftler schätzt man nicht, weil sie schlau sind, sondern weil sie zu etwas nutze sind“, haben Sie mal gesagt. Wozu ist in diesem Sinne Uwe Schneidewind für die Stadt Wuppertal nutze?

Was ich in die Stadt einbringe, ist ein strategischer Blick auf die Herausforderungen der Stadt und viel Führungserfahrung aus unterschiedlichen Kontexten. Diese Erfahrung und der Blick von außen entwickeln dann Kraft, wenn sie sich mit den vielfältigen Erfahrungen derjenigen verbinden, die hier vor Ort seit Jahren und Jahrzehnten Politik und Verwaltung gestalten.

Ihr erstes Jahr als Wuppertaler Oberbürgermeister liegt hinter Ihnen. Wie ist Ihre persönliche Zwischenbilanz, insbesondere in Sachen Stadtplanung, Klimaschutz und Bauen?

Veränderungen in Städten zu organisieren, ist hoch herausfordernd. Das erfordert ein enges Zusammenspiel von Verwaltung, Politik, Unternehmen und Zivilgesellschaft. Dies ist eine anspruchsvolle Führungsaufgabe, da in jedem dieser Bereiche ganz eigene Logiken vorherrschen und sich Dinge erst richtig bewegen lassen, wenn sie alle zusammenspielen.
Im ersten Jahr ist uns das in unterschiedlichen Feldern konkret gelungen: Wir haben einen zentralen Innenstadtplatz autofrei gestaltet und damit eine seit fast 20 Jahren dauernde erfolgreiche Diskussion beendet. Mit der Entscheidung, die große zentrale ehemalige Bundesbahndirektion direkt am Wuppertaler Hauptbahnhof zu einem großen gemeinsamen Servicecenter von Stadt, Jobcenter und Universität zu machen, haben wir einen zentralen Impuls für eine multifunktionale Innenstadt und für eine neue Service-Qualität gesetzt. Zudem liegt seit Sommer eine zusammen mit dem Wuppertal Institut erarbeitete Studie vor, wie die Umsetzung eines klimaneutralen Wuppertals 2035 aussehen kann.

Insbesondere die ­Vision, Wuppertal zum Herz eines ­Circular Valley zu machen, nimmt ­konkrete Formen an.

Wie ist der Stand der angekündigten Investitionsinitiative für Infrastruktur, neue Energien und Gebäude, bei der Sie externe Finanzierungen und Fördermittel aktivieren wollen?

In den letzten Monaten habe ich viele Gespräche mit Investoren geführt, um für den Standort Wuppertal zu werben. Wir warten jetzt mit Spannung auf die Ausgestaltung der klimabezogenen Investitionsprogramme der neuen Bundesregierung. Insbesondere die Vision, Wuppertal zum Herz eines Circular Valley zu machen, d. h. zu einem zentralen Hub für Kreislaufwirtschaftslösungen, nimmt konkrete Formen an. In drei Inkubatorrunden haben wir eine große Zahl internationaler Start-ups aus diesem Themenfeld nach Wuppertal gelockt. Und mit dem Projekt Bundesgartenschau 2031 bereiten wir gerade ein Schaufenster vor, das im Jahr 2031 aufzeigen soll, wie sich Wuppertal in den 2020er-Jahren verändert hat. Das soll die Stadt noch attraktiver für zukunftsgewandte Investitionen machen.

Bundesweite Ziele zum geringeren Flächenverbrauch wurden bisher deutlich verfehlt. Wie ist die Situation in Wuppertal?

Durch seine Tallage und die vielen geschützten Wald- und Grünflächen hat der Flächenverbrauch in der Stadt natürliche Grenzen. Wir sind heute schon in der Situation, im Wesentlichen die Stadt mit Blick auf Gewerbe, Wohnen, Freizeit, Klima über eine kluge Innenentwicklung voranbringen zu müssen. Aktuell ist das z. T. noch ein Wettbewerbsnachteil. Doch ich bin der festen Überzeugung, dass es auf mittlere Sicht ein Vorteil sein wird, dass wir damit früher als andere anfangen mussten.

Wuppertal kann bis 2035 klimaneutral werden, sagen Sie. Wie sieht Ihre Strategie aus und wo gehen Sie über das Ende 2020 vorgestellte „Integrierte Klimaschutzkonzept“ für Wuppertal hinaus?

Das Klimaneutralitätsziel 2035 ist äußerst ambitioniert. Das Wuppertal Institut hat uns in einer Studie im letzten Sommer skizziert, was das für die Bereiche Gebäude/Wärme, Energieerzeugung, Mobilität und Industrie bedeutet. Zentrale Bausteine sind dabei ein massiver Ausbau der Solarenergie auf den Dächern privater und öffentlicher Gebäude, die Stärkung von ÖPNV und Radverkehr, der Ausbau von Fern- und Nahwärme und die Umsetzung der Idee einer 15-Minuten-Stadt, um zu erheblichen Reduktionen bei der innenstädtischen Mobilität zu kommen. Grob kalkuliert sind für die (technisch grundsätzlich machbaren) Umstellungen bis zu 500 Mio. Euro Investition und Aufwand pro Jahr bis 2035 nötig. Das macht schnell klar, dass sich eine solche Transformation nicht allein aus eigener städtischer Kraft stemmen lässt. Es braucht umfassende private Investitionen und entsprechende Programme von Land und Bund.

Die Sondierungsstudie Wuppertal klimaneutral 2035 des Wuppertal Instituts schlägt eine Sanierungsrate von 4 % pro Jahr für Wohngebäude vor. Halten Sie das für umsetzbar? Wo kommen die ganzen Handwerker her? Wie lässt sich das bei der eher kleinteiligen Eigentümerstruktur sozialverträglich finanzieren?

Auch für die 4%-Quote gilt, dass das eine Herkulesaufgabe ist. Die InnovationCity Bottrop hat aber gezeigt, was auch in einer bestandsgeprägten Stadt gehen kann – auch bei kleinteiliger Eigentümerstruktur. Vermutlich ist die notwendige Handwerker-Offensive einer der wichtigsten Engpässe. Damit ist gemeint, noch mehr junge Menschen für die großen Zukunftschancen im Handwerk zu sensibilisieren und für einen Berufsweg im Handwerk zu begeistern.

Es ist wichtig, Sanierungsmaß­nahmen aus einer ganzheitlichen ­Perspektive zu ­betrachten.

Wie sehen Sie das „Einpacken“ von Bestandsgebäuden zur drastischen Reduzierung des Wärmebedarfs ohne Berücksichtigung der dabei verbauten grauen Energie und auch die möglichen Zukunftslasten durch Dämmmaterialien, die in ein paar Dekaden Sondermüll sein könnten?

Hier brauchen wir unbedingt mehr Flexibilität. Energetische Sanierung darf nicht nur mit Blick auf das einzelne Gebäude gesehen werden, sondern wir müssen sehr viel mehr in Quartiers- und Häuserblocklösungen z. B. unter Einbindung von Nahwärmenetzen denken. Dann sind gute Lösungen z. B. auch für denkmalgeschützte Gebäude und Gebäude, bei denen sich ein „Einpacken“ nicht anbietet, möglich. Es ist wichtig, Sanierungsmaßnahmen aus einer ganzheitlichen Perspektive und den Energieverbrauch, inkl. der grauen Energie, über den gesamten Lebenszyklus zu betrachten.

Wie sind in groben Zügen Ihre Konzepte für Wuppertal in Sachen erneuerbare Energien und Wärmewende und welche Rolle spielt dabei der Gebäudebestand?

Da das Windkraftpotenzial sehr begrenzt ist, wird der Solarausbau für Wuppertal eine zentrale Rolle spielen. Hier gilt es insbesondere auch die Denkmalschutzkonflikte zu lösen. Wir sind dazu im engen Austausch mit der Landesregierung. Zudem spielt in Wuppertal die Fernwärme eine zentrale Rolle. Wir bauen sie in den kommenden Jahren weiter aus. Sie ist derzeit durch die lokale Müllverbrennungsanlage gespeist. Hier gilt es, früh über die mittelfristige Umstellung auf regenerative Wärmequellen nachzudenken. Dabei werden derzeit sehr unterschiedliche Optionen, u. a. auch Geothermie, geprüft.

Auch wenn Starkregen und Sturzflut im Sommer 2021 vielleicht noch keine direkten Auswirkungen des Klimawandels waren, werden künftig mehr Wetterextreme erwartet. Wie erfolgt die Klimafolgenanpassung in Wuppertal für Starkregen, Hitzeperioden etc.?

In einer Taskforce Klimaanpassung erarbeiten wir derzeit Konzepte, die von der Umsetzung einer Schwammstadt bis zu klugen Frühwarnsystemen und einem optimierten Talsperren-Management für die hoch regulierte Wupper reichen. Die Idee der Schwammstadt spielt dabei eine zentrale Rolle, weil sie nicht nur ein Weg zum Umgang mit Starkregenereignissen ist, sondern über mehr Stadtgrün und das Halten von Wasser in der Stadt auch ein wichtiger Baustein für die Abkühlung in Hitzeperioden.

Die Wuppertalbewegung e. V. ist mit der Umwandlung der stillgelegten Nordbahntrasse in einen Rad- und Fußweg bekannt geworden. Das aktuelle Großprojekt nennt sich Circular Valley. Sie gelten als Befürworter. Worum geht es und wo gibt es Gemeinsam­keiten mit Ihrem städtischen Zukunftsprogramm #Fokus_Wuppertal?

Die zirkuläre Wirtschaft ist neben dem Klimawandel die große Nachhaltigkeitsherausforderung des 21. Jahrhunderts. Mit dem Circular Valley leisten wir daher nicht nur einen Beitrag zu dieser Epochenherausforderung, sondern machen auch deutlich, dass Wuppertal und die angrenzende Rhein-Ruhrregion alle wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Potenziale mitbringen, um als Region zum globalen Taktgeber einer Circular Economy zu werden. Die Circular-Valley-Initiative ist damit ein zentraler Baustein des Zukunftsprogramms #Fokus_Wuppertal, in dem die Mobilisierung von Investitionen für Wuppertal einen der acht Schwerpunkte bildet.

Ich bin guter Dinge, dass Ansätze des ­zirkulären Bauens in Wuppertal in den kommenden Jahren viel Schwung auf­nehmen.

Die Bau- und Immobilienbranche ist mit Herstellung, Bau und Betrieb von Gebäuden ein Hauptverursacher von Emissionen oder Abfällen und zirkuläres Bauen folgerichtig ein aktuell viel diskutierter Lösungsansatz. Wie ist Ihre Strategie für Bauen mit und im Bestand, Urban Mining oder Wiederverwendung von Bauteilen?

Im Rahmen des Circular-Valley-Inkubators haben in den letzten Monaten eine Reihe von Unternehmen mit Lösungen für diese Fragen Wuppertal als einen wichtigen Standort entdeckt. Mit der Ausrichtung des Solar Decathlon im Juni 2022 bringen wir weltweit führende Lösungen für klima- und ressourcengerechtes Bauen nach Wuppertal. Ich bin daher guter Dinge, dass Ansätze des zirkulären Bauens in Wuppertal in den kommenden Jahren viel Schwung aufnehmen. In einem großen Projekt Bergisch Circular eruieren wir zudem die Möglichkeiten zu Kreislaufstrategien im Gebäudebereich.

Sie bezeichnen die Erbauer der Wuppertaler Schwebebahn, also Ingenieur Eugen Langer, Chefkonstrukteur Max Carstanjens oder Bauleiter Wilhelm Feldmann, als tollkühn. Welche Bedeutung hat dieses Ingenieurbauwerk heute für Wuppertal?

Die Schwebebahn führt uns jeden Tag vor, zu welcher Kreativität, Mut und Umsetzungsstärke diese Stadt in einer Zeit des technologischen und ökonomischen Umbruchs in der Lage war. Das ist eine große Motivation, es unseren Vorfahrenin den heutigen Zeiten der Veränderung nachzutun.

Abschließend in einem Satz: Was ist Ihr Wuppertaler Aufbruchsnarrativ, an dem Sie gemessen werden möchten?

Eine Stadt, die ihre Diversität, Kreativität und historische Kraft nutzt, um Akzente für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu setzen! Konkret werden muss dies an den sichtbaren Fortschritten im Klimaschutz, der gesteigerten Lebensqualität in der Stadt und einem klaren Wirtschaftsprofil.


Uwe Schneidewind, geb. 1966, 1986–1991 Betriebswirtschaftsstudium Uni Köln, 1991–1992 Managementberater Roland Berger & Partner Düsseldorf, 1993–1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter u. Projektleiter Institut Wirtschaft u. Ökologie Uni St. Gallen, 1995 Promotion Ökologie u. Wettbewerbsfähigkeit, 1998 Habilitation Unternehmung als strukturpolitischer Akteur, 1997–2010 Uni Oldenburg Prof. Produktionswirtschaft u. Umwelt/2004–2008 Präsident, 2010–2020 wissenschaftlicher GF Wuppertal Institut, Prof. Innovationsmanagement u. Nachhaltigkeit BU Wuppertal, seit Nov. 2020 Oberbürgermeister Wuppertal

Jobs

ähnliche Beiträge

Nachhaltigkeitsmanagement und Berichterstattung in den Städten

Der Deutsche Städtetag hat einen Beschluss zu Nachhaltigkeitsmanagement und Berichterstattung in den Städten gefasst.

25. April ist Tag des Baumes

Der GREEN FOREST FUND kümmert sich um die Urwälder von morgen.

Low Tech Bau – Suffizienz

Dritte Auflage des Fachsymposiums Low Tech Bau – Suffizienz am 7. Juni in Berlin.
Vorheriger ArtikelA4F konstruktiv
Nächster ArtikelSpagat gelungen