Im Gespräch mit Christian Schlüter zum Campus Rosenheim

Vor dem Hintergrund des Klimawandels muss die Umweltbelastung des Bauens auf ein absolutes Minimum reduziert werden. Gebäude müssen gleichzeitig für einen gesellschaftlichen Mehrwert längerfristig höchste Aufenthaltsqualität haben. Das Studierendenwohnheim versucht diese beiden Aspekte zu verbinden. Dafür wurde das Projekt CampusRO mit dem Balthasar Neumann Preis 2023 ausgezeichnet. Bernhard Hauke hat mit Christian Schlüter von ACMS Architekten über den CampusRO gesprochen.

Tobias Götz (Pirmin Jung GmbH), Prof. Christian Schlüter (ACMS Architekten), Peter Matthias Astner (CampusRO Projektentwicklungs GmbH) und WOlfgang Bogner (Eckpfeiler Immobilien Gruppe) bei der Verleihung des Balthasar Neumann Preises 2023
Quelle: Bernhard Hauke
Christian Schlüter, ACMS Architekten, Wuppertal
Quelle: Christoph Rausch
Wie ist es zum Projekt gekommen, was war die Entwurfsidee?

Es fing mit dem Privatinvestor an, der die alte Halle auf einem großen Grundstück direkt gegenüber von der Hochschule gekauft hat. Dort wollte er zusammen mit der Stadt Rosenheim ein studentisches Wohnprojekt machen. Es gab einen Einladungswettbewerb, an dem wir als kleineres Büro teilnehmen durften, weil wir schon viel studentisches Wohnen gemacht haben.

Ich glaube, das Besondere bei uns war, nicht zu sagen wir bauen mit Holzbau oder wir machen nachhaltiges Bauen – das ist eine Selbstverständlichkeit –, sondern die soziale Frage: Wie geht das in einem solchen Umfeld für Menschen, die zum ersten Mal alleine wohnen, die sich gesellschaftlich orientieren müssen. Nach unserer Überzeugung hat das viel mit Kommunikation zu tun. Da muss noch viel erlernt werden. Wir sehen eine Diskrepanz zwischen einerseits einer gesicherten Schutzhülle für die jungen Menschen als Basis und andererseits dem notwendigen Austausch. Die Studierenden sitzen dann aber womöglich in Einzelapartments und sind oftmals total unglücklich. Das ist eine Erfahrung, die wir aus vielen anderen Projekten gewonnen haben. Deswegen hat uns diese Frage beschäftigt.

Wir wollten also einerseits diesen persönlichen Rückzugsraum, aber auch eine Gemeinschaft. Der Schlüssel dazu sind für uns Erschließungsstrukturen, um sich zu begegnen. Diese dörflichen Strukturen dreidimensional denken, das war die grundlegende Entwurfsidee. Wir haben dann ein Geflecht aus dreidimensionalen Wegen konzipiert und daran sehr komprimiert, aufs Minimum reduzierte Wohnflächen angedockt. Das Leben findet nicht nur in einem Raum statt. Wir haben das in verschiedene Bereiche aufgeteilt, wie auf einer Segeljacht oder in einem Wohnwagen. Es gibt einen öffentlichen Bereich, der zu den Laubengängen orientiert ist, und die privaten Bereiche, die nach außen orientiert sind. Die sind absolut minimiert, das ist wirklich Wohnwagen-Feeling. Also persönlicher Kokon und die forcierte Möglichkeit der Kommunikation, das hat eigentlich den ganzen Entwurfsprozess bestimmt.

Wir haben das übereinandergestapelt, sodass dann später nochmal eine Nachverdichtung möglich ist. Da kann dann nochmal ein Kästchen draufgestellt, aber auch runtergenommen werden, weil die Entwurfsidee eine organisch wachsende ist.

Das Studierendenwohnheim CampusRO
Quelle: Sigurd Steinprinz, Düsseldorf
Wie wird die Idee angenommen?

Wir waren bei der Einweihung dort, als die Studierenden schon ein gutes halbes Jahr da wohnten, und haben mit ganz vielen gesprochen und gemerkt, dass die Idee tatsächlich total gut funktioniert. Die waren bereits alle wahnsinnig gut vernetzt und man hatte das Gefühl, die kennen sich wirklich alle schon gut untereinander. Ich glaube, das hat ein Stück die Architektur geleistet und natürlich auch der Bauherr mit seinem Einzugsmanagement, dass diese Idee von einer Gemeinschaft aufgegangen ist.

Wie war die Zusammenarbeit mit den anderen Projektbeteiligten? Wie sind die Nachhaltigkeitsaspekte eingeflossen?

Die Vorgabe im Planungswettbewerb war ein Holzgebäude. Aber das hätten wir natürlich auch vorgeschlagen. Wir haben trotzdem sehr früh zusammen mit den Fachingenieuren unterschiedliche Holzbauten untersucht, aber auch Massivbauten. Wir wollen ein breites und offenes Bild dessen, was möglich ist, und wussten, dass Holzbau finanziell etwas schlechter abschneidet. Das hat sich auch bewahrheitet. Aber uns war wichtig, das auch quantitativ möglichst genau zu wissen. Dann haben wir aber auch ausgerechnet, wie viel Tonnen CO2 für die verschiedenen Bauweisen anfallen, weil das heute eine wichtige Frage ist für die Gesamtbewertung.

Der begrünte Innenhof
Quelle: Sigurd Steinprinz, Düsseldorf
Das heißt, sie hatten mehrere Entscheidungskriterien – Kosten und CO2?

Ja, das war unsere interne Frage im Planungsprozess. Für den Bauherrn standen die Kosten mehr im Fokus. Wobei dieser auch sehr früh gesagt hat: Ich will Holzbau. Das war vielleicht einerseits eine persönliche Überzeugung und andererseits ein Gefühl für die Vermarktung. Man kann ja schlechterdings der Hochschule Rosenheim, die für Holzbau bekannt ist, einen Massivbau hinstellen. Aber es war uns wichtig, auch die Massivbauweisen einschließlich Vorfertigung zu untersuchen, sodass wir auch wissen, wie die Konstruktionen aussehen. So können wir, wenn es irgendwann Diskussionen gibt, z. B. wegen der höheren Kosten, auch ganz genau sagen, wie viel teurer das ist.

Pi mal Daumen, wie viel teurer war der Holzbau?

Es war ein schwieriges Grundstück mit sehr viel Bodenverbesserung. Dadurch, dass der Holzbau leichter ist, waren die Mehrkosten relativ gering, ungefähr 2,5 %, sonst wären es vielleicht 5 % bezogen auf die Gesamtbaumaßnahme gewesen.

Aber selbst 5 % sind noch im Rahmen der denkbaren Schwankungen.

Ja, aber wir glauben, das ist die Größenordnung, die der Holzbau mehr kostet. Und ich denke, man kann den Nutzenden zumuten, im Zweifel 5 % mehr zu bezahlen. Auch, weil Holzbau ein Synonym für nachhaltiges Bauen ist und auch ein bisschen das Gefühl gibt, in einem nachhaltigen Gebäude zu wohnen. Also statt 400 Euro Miete wären das dann vielleicht 420 Euro Kaltmiete. Das ist doch am Ende die springende Frage. Werden wir dafür auch die nächsten 25 oder 30 Jahre eine Mieterschaft finden?

Und der Bauherr hat diese Frage mit Ja beantwortet.

Genau. Für ihn war relativ schnell klar, dass das so geht. Wir haben allerdings auch eine Holzbauweise mit nicht so hohem Holzbauanteil gewählt. Insofern ist das auch ein Kompromiss, ein Hybridbau. Die Decken sind z. B. Holzbetonverbund. Eine reine Holzdecke hätte die Mehrkosten Richtung 7 oder 8 % bewegt. So haben wir mit unterschiedlichen Holzbausystemen diesen Kompromiss gefunden.

Die Laubengänge sind aus Stahlbetonfertigteilen.

Das heißt, dass das Gebäude einen etwas größeren CO2-Fußabdruck hat, weil wir auch mit Beton gebaut haben. Wir haben uns auch sehr lange mit der Frage der Stellplätze beschäftigt, weil wir sehr viele nachweisen mussten, aber eine Tiefgarage vermeiden wollten. Auf einem benachbarten städtischen Grundstück wurde eine gigantische Tiefgarage gebaut, was zu einer vollständigen Versiegelung und wahnsinnigen CO2-Aufwendungen geführt haben muss. Wenn Grundstücke so hoch ausgelastet sind, ist das gegenwärtig oft anders schwer lösbar. Das ist ein schwer auszuhaltender Widerspruch. Wir konnten die Stellplätze oberirdisch nachweisen mit der Idee, diese nicht zu benutzen, weil die Außenraumqualität darunter leidet. Da ist also der baurechtliche Nachweis, den wir führen mussten, sowie das wirkliche Leben, in dem diese Stellplätze hoffentlich nicht genutzt werden.

Bei den Studierenden steht heute das eigene Auto nicht mehr unbedingt an erster Stelle.

Ja, und das kann man auch ein bisschen steuern. Die Stellplätze müssen ja nicht umsonst abgegeben werden. Rosenheim ist gut angebunden und vor Ort braucht man kein Auto. Wer trotzdem ein Auto mitbringt, den kostet es dann eben Geld, das dort abzustellen. Das finde ich völlig legitim und das steuert natürlich auch.

Gab es ein CO2-Budget oder andere Zielvorgaben zur Nachhaltigkeit?

Nein, gab es nicht, aber die Idee, das in Holz zu machen. Auch eine Zertifizierung war ursprünglich nicht Wunsch des Bauherrn. Wir haben das dann in den Planungsprozess reingetragen und bereits im ersten Check kamen wir sehr nahe an eine potenzielle Platin-Zertifizierung heran. Damit war dann tatsächlich der Ehrgeiz des Bauherrn geweckt, möglichst die höchste Stufe Platin zu erreichen. Also haben wir nochmal überlegt, wie wir das hinkriegen, und dann an eher kleineren Stellschrauben gedreht. Die maßgeblichen Parameter waren ja bereits im Vorfeld festgelegt worden, also die Reduktion des CO2-Fußabdrucks sowohl für die Nutzungsphase als auch für die Herstellungsphase. Wenn man dort sehr gut ist, dann ist man automatisch insgesamt schon ziemlich gut.

Mit der Gesamtökobilanzierung über die 50 Jahre kann es Platin werden?

Ich glaube wir stehen im Moment bei 83 %. 2 oder 3 % kriegt man bei der Überprüfung meist rausgestrichen. Deswegen sind wir guter Hoffnung, dass es am Ende für die 80 % für Platin reicht. Und es ist ja auch wirklich ein prima Gebäude, welches gut genutzt werden kann – da dürfte sich die DGNB auch freuen, Platin zu vergeben.

Viel diskutiert werden im Moment die Wärmeversorgung und der Anteil erneuerbarer Energie. Im Neubau ist das nicht ganz so herausfordernd.

Genau, das war nicht ganz so herausfordernd, insbesondere, weil wir einen Fernwärmeanschluss nutzen können. Aber wir haben auch einen KfW-40-plus-Standard mit hoher Eigenstromversorgung und es gab auch Fördergelder dafür. Trotzdem, das ist ein erheblicher Zielkonflikt, weil die Dachflächen als nutzbare Grünanlagen mit großen Pflanztrögen vorgesehen waren und nicht nur ein bisschen extensive Begrünung. Und dann kam die zusätzliche Anforderung nach möglichst viel PV. Wir hatten auch ein sehr begrenztes Budget, Niederschlag in die Kanalisation einzuleiten. Jeder Quadratmeter Gründach hat hier geholfen. Letztlich mussten wir für die Wasserhaltung auf dem Grundstück noch Rigolen unterbringen und einige Dachterrassen haben wir weggelassen, weil die Flächen für PV gebraucht wurden. Das sind Zielkonflikte – Dächer sind enorm wichtig.

Sind Fassadenflächen eine Alternative für die PV?

Für PV haben wir das diskutiert. Aber da brechen Effizienz und Kostenstruktur deutlich ein. Wir haben hohe Verschattungsanteile und nicht so viele Flächen beim hochkomprimierten Bauen. Und wir brauchen wirklich viel Fensterfläche – mindestens 50 % der Fassade – sonst kriegen wir das nicht hinreichend belichtet, was ja auch nicht geht. Also auch in der Fassade gibt es Flächenkonkurrenz.

Rückblickend, was würden Sie wieder so machen und was vielleicht anders beim nächsten Projekt?

Ich glaube, das Besondere war der sehr partnerschaftliche Ansatz. Wir hatten im Planungsteam von Beginn an schon ausführende Unternehmen dabei, mit denen wir auch bauen wollten und gebaut haben. Wir hatten für ziemlich alle zum ersten Mal ein externes BIM-Management dabei. Und wir haben dabei immer gesagt, wir machen das freiwillig, wir hatten keine vertraglichen Verpflichtungen. Das ist ein total spannender Ansatz, der im Projekt auch wirklich gut funktioniert hat. Alle sind dabeigeblieben und der Bauprozess war sehr erfolgreich. Zusammen mit den ausführenden Firmen hat es gut funktioniert. Zwischendurch gab es natürlich Reibungspunkte, weil es unterschiedliche Interessen gab oder der Bauherr nervös wurde und doch mehr Sicherheit haben wollte. Aber die persönliche Vertrauensbasis hat gehalten. Sicher leidet die zwischendurch mal und man muss daran arbeiten, das wieder herzustellen. Aber Vertrauen ist der Schlüssel, um wirklich herausragende Projekte zu machen. Wenn dann die Ergebnisse stimmen, dann macht die Arbeit auch Spaß. Das geht den Mitarbeitern natürlich auf allen Ebenen genauso und das ist gut so.

Vertrauen wagen sozusagen. Sie sind damit offenbar weit gekommen.

Wir stellen natürlich alle fest, dass beim Bauen nicht immer alles eitel Sonnenschein ist. Es gibt immer mal wieder Phasen, wo es auch kracht. Dann hängt es davon ab, dass die beteiligten Personen die Kraft haben, aufeinander zuzugehen. Das ist für alle eine persönliche Herausforderung, aber wenn es geschafft ist, freut man sich. Es gibt keine Garantie, dass dies immer funktioniert, aber es lohnt sich, daran zu arbeiten.

Das partnerschaftliche Bauen wird schon länger diskutiert, aber gegenseitiges Vertrauen ist eine Stufe höher.

Ja, das ist eine sehr persönlichen Ebene. Wir gehen alle irgendwie ordentlich partnerschaftlich miteinander um. Aber am Ende geht es nur mit persönlichem Vertrauen, dass wirklich das gesprochene Wort gilt, ich mich darauf verlassen kann und nicht über den Tisch gezogen werde. Das ist viel mehr wert als jeder Versuch, etwas aufzuschreiben. Wir waren alle schon beim Anwalt und haben uns erklären lassen, wie man Verträge formuliert. Und dann kommt ein anderer Anwalt und sagt, dass er das ganz anders versteht. Da merke ich, dass das nicht wirklich hilft. Darum brauche ich diese persönliche Vertrauensebene. Das hat in Rosenheim wunderbar geklappt.


Mehr zum CampusRO unter www.nbau.org/2023/04/13/campus-rosenheim-nachhaltige-qualitaet-durch-partnerschaftliche-kooperation

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