Ergänzung des Schwammstadtprinzips durch Wasserretention in der Vertikalen

Klimaschutz und Klimaanpassung sind zentrale Bestandteile gesellschaftlicher Herausforderungen. Extremereignisse wie Starkregen, Überflutungen und Hitzewellen lösen sich von der Abstraktheit und machen die Folgen des Klimawandels deutlich spürbar. Während dem Klimaschutz viel Aufmerksamkeit zufällt, wird die Klimaanpassung weit weniger diskutiert. Aber auch Anpassungen an die Folgen des Klimawandels sind ein elementarer Baustein und mit Maßnahmen zum Klimaschutz zusammenzubringen. Im Rahmen der Klimafolgenanpassung und Resilienz von Städten spielt die Rückhaltung von Niederschlagswasser bei Starkregenereignissen eine zentrale Rolle, um den Folgen von Überschwemmungen entgegenzuwirken und den Schutz von Gebäuden und Infrastruktur sicherzustellen. Gerade in innerstäd­tischen, hochverdichteten Quartieren sind die Platzressourcen begrenzt und die zur Verfügung stehenden Maßnahmen eingeschränkt. Mit der Entwicklung vertikaler Retentionskörper, die das anfallende Wasser eines Starkregenereignisses (zwischen-)speichern, sollen wassermanagende Strukturen in der bisher ungenutzten Dimension der Vertikalen geschaffen werden. Ziel ist, Regenwasser aus dem System zu nehmen und zur Vermeidung von Starkregenfolgen beizutragen (Senkung von Spitzenlasten im Kanalsystem, Vermeidung von Überschwemmungen) sowie durch Wasserverdampfung aus den Retentionskörpern (Kühleffekt) der innerstäd­tischen Aufheizung (urban heat island effect) entgegenzuwirken.

1 Einleitung

Die Rückhaltung von Niederschlagswasser bei Starkregenereignissen spielt eine zentrale Rolle im Rahmen der Klimafolgenan­passung und Resilienz von Städten. In stark versiegelten und ­verdichteten innerstädtischen Gebieten sind die Folgen von Wetterextremen (wie Starkregen, Hochwasser, Hitzewellen) besonders drastisch und die Auswahl an Maßnahmen eingeschränkt.

Unter dem Begriff Schwammstadt oder Sponge City bündeln sich unterschiedlichste Maßnahmen (z. B. Entsiegelung von Flächen, Gründächer, Baumrigolen), um das Regenwasser dort aufzunehmen und zu speichern, wo es anfällt, anstatt es zu kanalisieren und abzuleiten.

Eine Wasserrückhaltung in der Vertikalen, z. B. durch vertikale Retentionsmodule, kann eine Ergänzung oder auch Alternative zu bestehenden Maßnahmen des Schwammstadtprinzips darstellen, um Wasser aus dem System zu nehmen und damit zur Entlastung des Kanalsystems beizutragen. So werden Spitzenlasten im Kanalsystem und damit einhergehende lokale Überschwemmungen vermieden.

Im Beitrag werden vor diesem Hintergrund die bestehenden He­rausforderungen und Möglichkeiten im Rahmen der Klimaanpassung für den urbanen Raum beschrieben und die Potenziale von vertikalen Retentionsmöglichkeiten vorgestellt und diskutiert.

2 Herausforderung Klimaanpassung

2.1 Klimaentwicklung

Die Klimaentwicklung in Deutschland zeigt zwei zentrale und große Herausforderungen für die Städte: die Erwärmung und den (Stark-)Niederschlag.

Vor allem im Sommer zeigen sich Veränderungen bei der Niederschlagsverteilung. Während früher lang anhaltende Niederschläge die Vegetation ausreichend mit Wasser versorgten, treten im Laufe der letzten Jahre sehr lange und sehr trockene Hitzeperioden auf. Diese Hitze- bzw. Trockenperioden werden wiederum von Starkniederschlägen und heftigen Gewittern unterbrochen, in denen der Niederschlag nicht gleichmäßig fällt, sondern konzen­triert und deshalb in sehr kurzer Zeit sehr große Niederschlagsmengen an einer Stelle anfallen.

Die Städte sind durch den hohen Versiegelungsgrad und die fehlende Infrastruktur zur Ableitung und Zwischenspeicherung der anfallenden Wassermengen besonders hart von den Starkniederschlägen betroffen.

Während viele Städte bereits jetzt den Folgen von Starkregen nicht standhalten können, wird sich dieses Problem in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter zuspitzen.

2.2 Städte und die Folgen der Klimaentwicklung

Für die Städte bedeuten die aktuellen und prognostizierten Klimaentwicklungen eine besondere Herausforderung, denn das Klima in der Stadt unterscheidet sich stark von dem des Umlands. Die hochverdichteten und versiegelten Flächen innerhalb der Städte führen dazu, dass tagsüber die Sonneneinstrahlung aufgenommen und im Material gespeichert wird. In der Nacht wird diese Wärme wieder an die Umgebung abgegeben. In der Folge sinken die Temperaturen in der Stadt nicht so stark ab wie im Umland und es bildet sich der sog. urban heat island effect aus [1].

Mit den versiegelten Flächen geht zudem ein geringes Versickerungspotenzial einher und die zunehmende Bodenverdichtung verstärkt die Folgen von Starkregenereignissen und den damit einhergehenden Überschwemmungen. Denn findet ein Starkregenereignis statt, fällt meist mehr Regen, als der Boden und die Kanalisation aufnehmen können. In der Folge treten Flüsse über die Ufer und Abwasserkanäle erreichen ihre Kapazitätsgrenze. Das entstehende Hochwasser verursacht insbesondere an Gebäuden Schäden, indem es sich durch den Kellerraum oder die Sohle drückt, rückgestautes Wasser durch Rohrleitungen eindringt und Wasser entlang von Hausanschlüssen, durch undichte Fugen, Licht- und Kellerschächte oder durchlässige Außenabdichtungen in das Gebäude läuft. Die Gebäude können massiv betroffen sein und die Schäden bis zum Abriss führen.

3 Maßnahmen zur Klimaanpassung

3.1 Überflutungssicherheit Iststand

Neben den fehlenden Anpassungs- und Gebäudeschutzmaßnahmen weisen die Städte nur selten ein geregeltes und funktionierendes Warnsystem auf. Extrem kurze Vorwarnzeiten sind die Folge. Bei einem kurzen Starkregenereignis kann in etwa mit einer Vorwarnzeit von 30 min bis 120 min gerechnet werden, bei einem großen Ereignis kommt es zwar zu längeren Vorwarnzeiten, aber eine genaue Lokalisation ist kaum möglich [2].

Die Bewertung, ob ein Regenereignis zu einem Starkregenereignis werden kann, wird i.d.R. durch Bodenmessstationen ermittelt. Da jedoch die Niederschlagszellen meist sehr kleinräumig, beweglich und/oder inhomogen sind, sind die Bodenmesswerte nicht repräsentativ für eine größere Fläche, insbesondere bei Starkregenereignissen [3]. Weitere Probleme, die auftreten: Regenschreiber sind teilweise nicht heranziehbar, da diese ggf. nicht in akuten Starkregenzellen liegen, Pegeldaten an kleinen Gewässern werden nur selten erfasst oder regenrelevante Messstellen werden aufgrund von Sparmaßnahmen der Kommunen abgebaut.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnt vor drei Starkregenstufen: Stufe 2 Starkregen (15–25 l/m² in 1 h oder 20–35 l/m² in 6 h), Stufe 3 Heftiger Starkregen (25–40 l/m² in 1 h oder 35–60 l/m² in 6 h) und Stufe 4 Extrem heftiger Starkregen (> 40 l/m² in 1 h oder > 60 l/m² in 6 h) [4].

In den letzten Jahren hat sich zudem die Kommunikation über den Starkregenindex (SRI) [5] verbreitet (Bild 1), da der Ansatz bereits eta­blierten Einordnungen zu Erdbeben oder Windstärken ähnelt. Hierbei werden Starkregenereignisse anhand ihrer jeweiligen Niederschlagsintensität in zwölf Kategorien eingeordnet. Mithilfe dieses Indexes können Starkregenereignisse bewertet und daraus resultierende Maßnahmen abgeleitet werden.

3.2 Politische Bestrebungen

Für Städte sind sämtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Klimafolgenproblemen von großer Bedeutung, damit alle Aspekte des städtischen Lebens aufrechterhalten werden und die negativen Auswirkungen auf Wirtschaft und Menschen minimiert werden können.

Die Politik hat die Probleme erkannt und versucht mit unterschiedlichen Mitteln gegenzusteuern. Während die Klimapolitik international (zuletzt bei der 27. UN-Klimakonferenz in Scharm asch-Schaich 2022) sowie auf Bundes- (z.B. DAS – Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel [6] und Landesebene (z. B. Klimaanpassungsgesetz in NRW [7]) stattfindet, findet die Klimaanpassung weitestgehend auf kommunaler Ebene statt. Dabei rückt die Wasserwirtschaft ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Aktionsfelder sind u.a. der Hochwasserschutz vor Ort (Deiche, Schutzmauern, Retention) und die Verbesserung der Resilienz von Kommunen bei Extremereignissen [8].

Von großer Bedeutung bei der Bearbeitung dieser Aktionsfelder sind neben den Hochwassergefahrenkarten und Hochwasserrisikokarten des Landes NRW die bereits für einige Regionen vorliegenden kommunalen Starkregengefahrenkarten und die im Oktober 2021 vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) ­veröffentlichte interaktive Hinweiskarte Starkregengefahren für NRW [9].

Die Hinweiskarte Starkregengefahren für NRW steht open source im Geoportal des Bundes und der Länder [9] oder im Fachinforma­tionssystem Klimaanpassung des LANUV im Handlungsfeld Hochwasserschutz zur Verfügung [10] und stellt die landesweit ­hydrodynamisch modellierten Fließgeschwindigkeiten und Überflutungstiefen für Starkregenereignisse in Nordrhein-Westfalen dar (Bild 2).

Bild 2 Screenshots des Fachinformationssystems Klimaanpassung des LANUV mit einer Auswahl abrufbarer Fachdaten: a) Wassertiefe Extremer Starkregen (90 mm/h), b) Fließgeschwindigkeit Extremer Starkregen (90 mm/h)

3.3 Das Schwammstadtprinzip

Klimaschutz und Klimaanpassung sind wesentliche Bestandteile der Herausforderungen, mit denen sich die Gesellschaft konfrontiert sieht. Besonders die Städte sind hierbei von zentraler Bedeutung, da Klimaanpassungsmaßnahmen einhergehen müssen mit der Schaffung neuen Wohnraums, sowohl im Bestand als auch beim Neubau. In dicht bebauten Gebieten mit hoher Versiegelung sind die Auswirkungen von Wetterextremen wie Starkregen, Hochwasser und Hitzewellen besonders schwerwiegend und die Anpassungsmöglichkeiten stark eingeschränkt.

Weltweit werden verschiedenste Maßnahmen zum klimaadaptiven Wassermanagement entwickelt und unter dem Begriff Sponge City bzw. Schwammstadt zusammengefasst (Bild 3). Hierbei werden Strategien verfolgt, um das anfallende Wasser nicht mehr nur zu kanalisieren und abzuleiten, sondern lokal zu speichern und vor Ort nutzbar zu machen. Neben einem Überflutungsschutz liegen die Ziele u.a. in der Verbesserung des Mikroklimas und der Kühlung von Städten, um dem urban heat island effect entgegenzuwirken.

Das Schwammstadtprinzip bündelt verschiedene Maßnahmen zur Reduzierung der Wassermengen: Entsiegelung von Flächen, oberirdische und unterirdische Versickerungsmaßnahmen, oberirdische Rückhaltung (in offenen Wasserflächen, Gräben, Rückhaltebecken, auf Dächern etc.), unterirdische Rückhaltung (in Zisternen, Rigolen etc.), temporärer Rückhalt auf Verkehrsflächen, auf Grünflächen, durch Baumpflanzungen, Dachbegrünung oder Retentionsdächer. Hinzu kommen Maßnahmen zur gezielten Leitung des Wassers (z. B. Umbau von Straßen vom Dach- zum V-Profil) und direkte Gebäudeschutzmaßnahmen wie ein Kanalrücklaufschutz oder Abdichtungen. Auf diese Weise werden unterschiedliche Wirkungen erzielt: Wassereintritt vermeiden, Wasser versickern, Wasser verzögert einleiten und Wasser lenken [11].

Im Kontext des Schwammstadtprinzips werden weltweit innovative Entwässerungskonzepte entwickelt, bei denen die Versickerung und Ableitung von Niederschlagswasser im Zentrum der Maßnahmen stehen. Hierbei werden u.a. Spiel-, Sport- und andere öffentliche Plätze als temporäre Wasserbecken geplant, indem die Flächen tiefergelegt werden.

Nach dem Vorbild Kopenhagens entwarf bspw. die Stadt Hamburg mit dem Projekt KLIQ ein Konzept aus wasserleitenden und wasserspeichernden Straßen, wasserspeichernden Grünflächen, unterirdischer Regenwasserspeicherung, Tiefbeeten, begrünten Straßen und Baumgruben [11].

Solche Maßnahmen erfordern meist komplexe und aufwendige Baumaßnahmen, die in innerstädtischen Gebieten oft nur schwer umgesetzt werden können bzw. zumeist mit hohem Aufwand und Kosten verbunden sind. Große Flächen müssten umgestaltet und Straßen einbezogen werden. Der Handlungsspielraum bezieht sich meist auf öffentliche Flächen, der private Grund kann bei den Maßnahmen kaum in die Planungen integriert werden.

4 Die Vertikale als Ergänzung des Schwamm­stadtprinzips

4.1 Hintergrund

Die beschriebenen Strategien reichen bereits zum jetzigen Zeitpunkt oftmals nicht aus, um die Wassermassen bei Starkregenereignissen abfangen zu können. Die vorhandenen Grün- und Sickerflächen weisen oft ein zu geringes Versickerungspotenzial auf, Retentionsdächer erreichen ihre Speicherkapazität oder können wegen ihres hohen Gewichts aufgrund der Gebäudestatik gar nicht erst eingesetzt werden und großflächige Maßnahmen, wie der Umbau von Straßen oder Spiel-, Sport und öffentlichen Plätzen oder der Kanalisation, sind aufwendig, kostenintensiv und langfristig in der Umsetzung.

Gerade in innerstädtischen, hochverdichteten Quartieren sind die Platzressourcen begrenzt. Um die bestehenden Maßnahmen zu ergänzen, kann das bisher ungenutzte Flächenpotenzial der Vertikalen erschlossen und das anfallende Wasser in Form von vertikalen Retentionsflächen gehalten und nutzbar gemacht werden (Bild 3), z. B. durch die Aufnahme von Schlagregen an Hochhausfassaden, wie aktuell von der Universität Stuttgart mit der Entwicklung von HydroSKIN verfolgt [12].

Vertikale Retentionsflächen haben das Ziel, zusätzliche Speichervolumina in urbanen Gebieten zu schaffen, die sich durch die Fähigkeit zur Wasserspeicherung und -ableitung auszeichnen. Sie dienen als wassermanagende Strukturen, um die Auswirkungen von Starkregenereignissen zu minimieren, indem sie das anfallende Niederschlagswasser aufnehmen und zwischenspeichern.

Zusätzlich besteht das Potenzial, Starkregenereignisse positiv zu nutzen, indem das Wasser einer Nutzung zugeführt wird und z. B. durch Wasserverdampfung (Kühlung) der innerstädtischen Aufheizung (urban heat island effect) entgegengewirkt wird.

4.2 Vertical Water Sponge

Mit dem Konzept Vertical Water Sponge verfolgt das Fraunhofer UMSICHT in Oberhausen die bautechnische Entwicklung vertikaler Retentionsmodule, bestehend aus einer tragenden, durchlässigen Außenhülle mit einem wasserspeichernden Kern aus mineralischen Materialien (Bild 5). Durch die Kopplung der Module an die Dachentwässerung kann Regenwasser in die Module eingeleitet werden. Hierdurch wird es möglich, große Mengen von Regenwasser, insbesondere im Falle von Starkregenereignissen, einzukoppeln und zwischenzuspeichern.

Die Hauptziele bestehen darin, die Auswirkungen von Starkregenereignissen zu mildern und die eingeleiteten Wassermengen in Form von Verdunstungskühlung zu nutzen, was durch die hohe volumenspezifische Oberfläche des Modulkerns ideal unterstützt wird.

Für den Kern der vertikalen Retentionsmodule werden mineralische Werkstoffe adressiert (Ziegel, Kalksandstein, Bims, Porenbeton etc.), die idealerweise aus Recyclingprozessen stammen und die über sehr gute Wasserspeicher- sowie -leitungseigenschaften verfügen.

Aktuell werden praxisnahe Untersuchungen an Funktionsmustern durchgeführt (Maßstab 100 l), deren Ergebnisse in die Konzeptionierung und Entwicklung eines Demonstrators in anwendungsnaher Skalierung einfließen, der im Laufe des Jahres 2023 auf dem Fraunhofer-UMSICHT-Gelände platziert wird.

Zentrale Fragestellungen, die durch die Untersuchungen an den Funktionsmustern und am Demonstrator beantwortet werden sollen, sind u.a. die Bemessung des Systems (Menge des einzusetzenden Materials), Konstruktion und Design(-varianten), Wasserspeicherkapazität unter verschiedenen Starkregenszenarien sowie die Verdunstungsleistung bzw. Kühlwirkung.

Die vertikalen Retentionsmodule sollen im Gebäudebestand und -neubau einsetzbar sein und einen geringen Pflege- bzw. Wartungsaufwand aufweisen. Unterschiedliche Ausführungen sind denkbar, z.B. als Doppelfassade oder in die Fassade integrierte Elemente. Zur Verteilung der Lasten ist im Zusammenhang mit der Auslegung der Module, der Gebäudesituation vor Ort und den statischen Gegebenheiten mit den Gebäudeplanenden fallbezogen eine Lösung zu erarbeiten. Die Exposition bzw. Ausrichtung der Module kann zudem eine Funktionalisierung mit Photovoltaik oder Begrünung ermöglichen (Bild 5). Eine schallabsorbierende Wirkung der Module kann zum Lärmschutz beitragen und auch die Verschaltung mit der Gebäudeinfrastruktur eröffnet Potenziale, z. B. zur Klimatisierung unter Ausnutzung der in den Modulen entstehenden Verdunstungskälte. Ziel ist, Mehrwerte zu schaffen, die durch eine reine Sammlung und Zwischenspeicherung von Regenwasser auf Rückhalteflächen nicht erzielt werden können.

Neben dem Einsatz im Gebäudekontext ist auch eine Verwendung als frei stehendes, skulpturales Element oder als kühlendes Stadtmöbel denkbar, um im urbanen Raum als vertikaler Wasserspeicher und Kühlbrunnen/-insel wirken zu können.

4.3 Potenziale

Die nachfolgende Szenario-Betrachtung zeigt das enorme Potenzial für die Wasserretention an vertikalen Flächen. Während die bei einem Starkregenereignis anfallenden Wassermassen durch die Definition des Deutschen Wetterdiensts für eine theoretische Betrachtung herangezogen werden können, ist die Dauer eines Starkregenereignisses nicht genau definiert. Meist sind die Ereignisse kurz und verbunden mit unmittelbaren Sturzfluten (sog. Flash Floods), die dann zu lokalen plötzlichen Überschwemmungen führen können [13]. Für nachfolgend betrachtetes Szenario werden Regendauern von 0,25 h und 0,50 h gewählt.

Im betrachteten Szenario (Bild 4) wird eine Gebäudegrundfläche von 120 m2 herangezogen (8 m Gebäudebreite, 15 m Gebäudelänge). Bei unterschiedlichen Starkregenereignissen von 15 l/m² und 40 l/m2 in 1 h (15 l = unterster Schwellenwert der Stufe 2, 40 l = oberster Schwellenwert der Stufe 3) fallen bei unterschiedlicher Starkregendauer (0,25 h, 0,50 h) Gesamtwassermengen von 450 l bis 2400 l über die Gebäudegrundfläche an (Bild 4, links).

Abhängig von der Bausituation (frei stehend, im Verband), der Geschosshöhe (im Szenario betrachtet: 3, 6 Geschosse) und der Fensterfläche (Annahme 25 % Flächenanteil) kann das betrachtete Gebäude unterschiedliche Fassadenflächen aufweisen (Bild 4, mittig).

Berücksichtigt man diese Parameter und sieht Retentionsmodule vor (Stärke 10 cm), die mineralische wasserspeichernde Materialien enthalten (angenommene Wasserspeicherrate 24 % bezogen auf die trockene Masse/h, Dichte 1300 kg/m3), ergeben sich am Gebäude für eine Starkregendauer von 0,50 h Speicherkapazitäten von 3291 l bis 10.091 l Wasser (Bild 4, rechts), was bereits im schlechtesten angenommenen Fall (im Verband, 2 Fassaden, 3 Geschosse) ca. 37 % über der maximal anfallenden Wassermenge von 2400 l liegt.

4.4 Ergänzende Nutzung von Daten zur Platzierung und Bemessung von Retentionsmaßnahmen

Für die Identifizierung potenzieller Überflutungsflächen und die Planung eines optimierten und präventiven Einsatzes von vertikalen Retentionsmaßnahmen können die Daten der Hinweiskarte Starkregengefahren für NRW oder der kommunalen Starkregengefahrenkarten dienen.

Zur Bemessung können die definierten Niederschlagsmengen von Starkregenereignissen des Deutschen Wetterdiensts herangezogen und mit den möglichen Wasserspeicherkapazitäten in Bezug gesetzt werden.

Ergänzend hierzu besteht die Möglichkeit, Daten der maßgeblichen Niederschlagshöhe einer Region zu verknüpfen, z.B. durch die Verwendung von Niederschlagskurven (Datengrundlage bildet die Auswertung lokaler Regenschreiber) oder durch Nutzung der KOSTRA-Daten (KOSTRA: Koordinierte Starkniederschlagsregionalisierung und -auswertung) des Deutschen Wetterdiensts [14].

5 Ausblick

Die Klimaanpassung fordert extreme Maßnahmen, die insbesondere für die Städte große Herausforderungen mit sich bringen. Eine wasser- und klimasensible Planung und eine Überflutungsvorsorge werden zum wichtigen Bestandteil der Stadtentwicklung. Neben den bereits bestehenden Maßnahmen des Schwammstadtprinzips sind weitere Aktivitäten notwendig, die mit intensiver Forschungsarbeit und Kooperationen vorangetrieben werden müssen. Denn neue technische Möglichkeiten und innovative Ideen können Optionen für weitere Anpassungsmaßnahmen eröffnen.

Die Berücksichtigung der vertikalen Dimension bietet im Rahmen der Stadtplanung ein erhebliches Potenzial, das derzeit auch in Forschung und Entwicklung einbezogen wird. Durch vertikale Retentionsmöglichkeiten können neue Regenrückhaltepotenziale und Verdunstungsflächen geschaffen werden, die einer innerstädtischen Überflutung entgegenwirken, die Funktionsfähigkeit der Wasserinfrastruktur erhalten und einen Beitrag zur Verbesserung des Stadtklimas leisten.


Literatur

  1. Deutscher Wetterdienst (2023) Stadtklima – die städtische Wärmeinsel [online]. Offenbach: Deutscher Wetterdienst. https://www.dwd.de/DE/forschung/klima_umwelt/klimawirk/stadtpl/projekt_warmeinseln/projekt_waermeinseln_node.html [Zugriff am: 1. Februar 2023]
  2. Quirmbach, M.; Schlenkhoff, A.; Salomon, M. (2021) Sturzflutkatastrophe Juli 2021 Strategische Konsequenzen für das Starkregenrisikomanagement. Diskussionsrunde. StarkRegenCongress – SRC 2021, Gelsenkirchen, 2. Dezember 2021.
  3. Weiler, M.; Hänsler, A.; Zimmer, J.; Moser, M. (2019) Nutzung von Radardaten im Starkregenrisikomanagement in Baden-Württemberg. WasserWirtschaft, H. 12, S. 63–67.
  4. Deutscher Wetterdienst (2022) Warnkriterien [online]. Offenbach: Deutscher Wetterdienst. [Stand: 15. Februar 2022] https://www.dwd.de/DE/wetter/warnungen_aktuell/kriterien/warnkriterien.html [Zugriff am: 15. Februar 2022]
  5. Schmitt, T. G.; Krüger, M.; Pfister, A.; Becker, M.; Mudersbach, C.; Fuchs, L.; Hoppe, H.; Lakes, I. (2018) Einheitliches Konzept zur Bewertung von Starkregenereignissen mittels Starkregenindex. KA Korrespondenz Abwasser, Abfall 65, H. 2.
  6. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (2008) Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Berlin, 17. Dezember 2008.
  7. Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (2021) Klimaanpassungsgesetz Nordrhein-Westfalen (KlAnG). Berlin, 15. Juli 2021.
  8. Heinen-Esser, U. (2021) Sturzflut 2021 aus Sicht des Landes Nordrhein-Westfalen. StarkRegenCongress – SRC 2021. Gelsenkirchen, 2. Dezember 2021.
  9. Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (2022) Starkregengefahrenhinweise Nordrhein-Westfalen [online]. Frankfurt am Main: BKG. [Stand: 9. Februar 2022] https://geoportal.de/map.html?map=tk_04-starkregengefahrenhinweise-nrw [Zugriff am: 12. Januar 2023]
  10. Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (2021) Fachinformationssystem Klimaanpassung [online]. Recklinghausen: LANUV. [Stand: 27. Oktober 2021] http://www.klimaanpassung-karte.nrw.de [Zugriff am: 14. Februar 2022]
  11. Kruse, E.; Rodríguez Castillejos, Z.; Dickhaut, W.; Dietrich, U. [Hrsg.] (2017) Wissensdokument: Überflutungs- und Hitzevorsorge in Hamburger Stadtquartieren. Hamburg: Tutech Verlag.
  12. Eisenbarth, C.; Haase, W.; Blandini, L.; Sobek, W. (2022) Potentials of hydroactive lightweight façades for urban climate resilience. Civil Engineering Design 4, No. 1–3, pp. 14–24. doi:10.1002/cend.202200003
  13. Rudolf, B.; Simmer, C. (o.J.) Niederschlag, Starkregen und Hochwasser.
  14. Deutscher Wetterdienst (2022) KOSTRA-DWD [online]. Offenbach: Deutscher Wetterdienst. https://www.dwd.de/DE/leistungen/kostra_dwd_rasterwerte/kostra_dwd_rasterwerte.html [Zugriff am: 30. Juni 2022]

Autor:innen

Melanie Eiting, melanie.eiting@umsicht.fraunhofer.de

Dr. Holger Wack, holger.wack@umsicht.fraunhofer.de

Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, Oberhausen
www.umsicht.fraunhofer.de

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