Vielfalt an Ansätzen für nachhaltiges Bauen in Deutschland hemmt den Klimaschutz

Wir brauchen einen einheitlichen Nachhaltigkeitsstandard für Gebäude in Deutschland

Angesichts der wachsenden Zahl von Bewertungsansätzen zum nachhaltigen Bauen hat die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Entwicklungen rund um die Nachhaltigkeitszertifizierung von Gebäuden in Deutschland analysieren sollte [1]. Das wesentliche Ergebnis des Gutachtens ist, dass ein einheitliches Verständnis über die Anforderungen des nachhaltigen Bauens in Deutschland fehlt. Gleichzeitig wird ein Nachhaltigkeitsstandard dringend benötigt, um Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele im Bau- und Immobiliensektor in der erforderlichen Geschwindigkeit zu erreichen. Aufgrund des hohen Zeit- und Handlungsdrucks ist es nicht mehr zu verantworten, weitere Zeit mit Parallelentwicklungen zu Fragen einzelner Nachhaltigkeitsqualitäten zu vergeuden. Die DGNB plant daher, ihr Zertifizierungssystem als Regelwerk zur Verfügung zu stellen, damit mehr Kapazitäten in die Implementierung von Nachhaltigkeit fließen.

Mit dem Gutachten beauftragt wurde der Rechtsanwalt Michael Halstenberg aus der Kanzlei Franßen & Nusser. Auf insgesamt 61 Seiten wird der Stand der Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden im europäischen Kontext aufgezeigt, Probleme werden offengelegt und abschließend Vorschläge zur Verbesserung entwickelt.

Einleitend wird die hohe Bedeutung des Sektors Bauwirtschaft für die Reduktion klimaschädlicher Treibhausgase sowie des Mate­rial- und Rohstoffverbrauchs anhand konkreter Zahlen verdeutlicht. Gleichzeitig wird aber auch festgestellt, dass die derzeit ­dis­­ku­tierten Strategien zur Erreichung der notwendigen Nachhaltigkeitsziele für die kommenden Dekaden offenkundig nicht ausreichend greifen – es fehlen tragfähige ­Lösungsansätze vonseiten der Politik.

Grundsätzlich sind diese Nachhaltigkeitsziele seit Langem von der Wissenschaft gefordert und bekannt. Es geht darum, in Europa und der Bundesrepublik neue Gebäude weitgehend klimaneutral zu errichten und – was weitaus schwieriger ist – die bereits gebaute Umwelt, sowohl Gebäude als auch begleitende Infrastruktur, so zu sanieren und zu verändern, dass sie möglichst im Einklang mit den Nachhaltigkeits- und Klimaschutzzielen steht. Während es in der Vergangenheit in der Bundesrepublik zu lange am politischen Willen mangelte, werden heute die Grenzen zunehmend durch personelle, ökonomische, soziale und nicht zuletzt rechtliche Möglichkeiten gesetzt.

Denn die Regulierung des Immobilien- und Bausektors ist sehr weitgehend und komplex: Normen, Richtlinien oder Anforderungen an Sicherheitsbestimmungen, an die Ökologie und die Gestaltung von Bauprodukten und Gebäuden existieren auf EU-, Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene und sind durchaus nicht immer widerspruchsfrei. Dabei bezieht sich die große Mehrheit der Regelwerke auf den Neubau. Diese werden in vielerlei Hinsicht pauschal für den Bestand übernommen, was die Umsetzung von effektiven, wirtschaftlichen und angepassten Lösungen für die Bestandssanierung eher behindert als befördert.

Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden: von der Freiwilligkeit zur gesetzlichen Grundlage

Nach dem Pariser Klimaschutzabkommen 2015 hat sich in den folgenden acht Jahren bis heute das Meinungsbild geändert und der Druck auf die politischen Akteure vonseiten der Wissenschaft und durch Bewegungen wie Fridays for Future und nicht zuletzt durch die zunehmend spürbaren Folgen des Klimawandels massiv erhöht. Einen Durchbruch brachten die europäische Klimastrategie mit dem Green Deal und – als ein Bestandteil – die Taxonomie-Verordnung und Offenlegungsverordnung mit ihrem Ziel, Finanzmittel mehr und mehr in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu lenken. Bestandteil dieser Klimastrategie war auch die Anerkennung der Ökobilanzierung von Gebäuden (Life Cycle ­Assessment) einschließlich der Aufwendungen für die Herstellung von Baumaterialien (graue Energie) und Ressourcenverbräuche als verbindliches Instrument zur Bewertung der Klimawirkung von Gebäuden. Das ist seit Gründung der Non-Profit-Organisation 2007 zentrale Forderung und wichtiger Bestandteil der DGNB Nachhaltigkeitszertifizierung. In der Folge wurde schnell spürbar, dass insbesondere bei Bauherren und Investoren zur Frage des nachhaltigen Bauens der Wechsel vom freiwilligen Engagement – mitunter auch vom Nice-to-have – zur verpflichtenden Deklaration der Eigenschaften und Wirkungen ihrer Gebäude erkannt wurde.

Das bisher freiwillige Instrument der Gebäude­zertifizie­rung ist schon jetzt und wird in Zukunft verstärkt fester ­Bestandteil der Einhaltung gesetzlicher ­Anforderungen

Das Gutachten zieht an dieser Stelle ein erstes Fazit: Die Rechtsakte haben erhebliche Auswirkungen auf die künftige Nachhaltigkeitszertifizierung von Gebäuden. Das bisher freiwillige Instrument der Gebäudezertifizierung ist schon jetzt und wird in Zukunft verstärkt fester Bestandteil der Einhaltung gesetzlicher Anforderungen.

Im Gutachten wird die Empfehlung ausgesprochen, dass Gebäudezertifizierungen sich an den Kriterien der EU orientieren, damit sie in die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen einfließen können. Zugleich wird die Harmonisierung von Zertifizierungssystemen – von privaten wie denen des Bundes – mit Förderbestimmungen als sinnvoll erachtet. Die DGNB integriert diese vonseiten der EU entwickelten Kriterien regelmäßig in ihre Systeme.

Standardisierung erfordert unabhängige Qualitätssicherung

Die Bedeutung der Nachhaltigkeitszertifizierung von Gebäuden verändert sich, sobald ein entsprechender Standard nach rechtlichen Vorschriften nachzuweisen ist. Der Wechsel von der Freiwilligkeit zur verbindlichen Deklaration stellt neben den entsprechenden Inhalten und Zielsetzungen auch zusätzliche Anforderungen an die Transparenz, die Zuverlässigkeit und Belastbarkeit des Systems. Dies führt zu der Forderung nach einer Akkreditierung der Systemträger und der Prüfer zur Qualitätssicherung, zur Sicherung der Unabhängigkeit und zur Vermeidung von Greenwashing.

Werden bestimmte Inhalte und Zielsetzungen wie z. B. im Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude QNG vom deutschen Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) zur Voraussetzung z. B. für eine öffentliche Bauförderung, so muss ein Zertifizierungssystem, das diese Inhalte erfüllt, für diesen Zweck auf Übereinstimmung geprüft werden – auch dieser Prozess muss akkreditiert werden. Ziel des QNG-Siegels ist ein einheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit und die Schaffung einer rechtssicheren Grundlage für die Vergabe von Fördermitteln. Im Gutachten wird positiv hervorgehoben, dass mit der Akkreditierung eine verlässliche, einheitliche und gesetzlich geregelte Form der Qualitätssicherung eingeführt wird.

Diese Schritte wurden von der DGNB gemeinsam mit den europäischen Systempartnern z. B. aus Dänemark, Österreich und Spanien bereits vor und während der Erstellung der europäischen Regelungen vollzogen oder vorbereitet. Das Ziel ist dabei, die jeweiligen Anforderungen der Taxonomie und der ESG (Environmental, Social and Governance – Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, ein umfassendes Regelwerk zur Bewertung der nachhaltigen und ethischen Praxis von Unternehmen) in Europa und des QNG in Deutschland mit dem jeweils aktuellsten Stand der nachhaltigen Bautechnik in einem einzigen Zertifizierungssystem zu integrieren, um durch eine einmalige Dokumentation der Gebäudeeigenschaften und -wirkungen dem Investor oder Bauherren Doppel- und Mehrfachaufwendungen zu ersparen.

Grundsätze für die Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden in Deutschland

Aufgrund der wachsenden Bedeutung von Zertifizierungen für nachhaltige Gebäude widmet sich das Gutachten von Michael Halstenberg in einem umfangreichen Kapitel den aktuell vorhandenen Zertifikaten. Als Systemanbieter genannt und beschrieben werden neben der DGNB auch die US-amerikanische Variante LEED sowie das britische BREEAM. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Objektivität, Qualität und Verlässlichkeit der Systeme. Zur Frage einer einheitlichen Bewertungsstrategie für nachhaltiges Bauen in Deutschland und Europa spielen die Zertifikate LEED und BREEAM jedoch schon aufgrund der Akkreditierungs- oder Zulassungsfragen keine weitere Rolle. Dazu kommt die starke Ausrichtung auf den Planungs- und Bauprozess in Deutschland und Europa. Dabei geht es vorrangig um die planungs- und baubegleitende Bereitstellung von Kriterien und Instrumenten, die es ermöglichen, die bei einer Planung nach den vielfältigen Kriterien fast zwangsweise auftretenden Zielkonflikte gezielt aufzulösen und auf diese Weise eine bessere Nachhaltigkeitsperformance des Gebäudes zu erreichen.

Betrachtet man die Zielrichtung der Diskussion über die Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden und Quartieren insbesondere in Deutschland, ergeben sich folgende Forderungen an ein Zertifizierungssystem:

  • Zunächst wird die Ökobilanzierung von Gebäuden als ganzheitliche Bilanzierung der Umweltwirkungen über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes als Grundlage ganzheitlicher Zertifizierungssysteme wie das der DGNB gesehen. Hierzu bestehen bereits Normen, die Berechnungsmethoden für die Ökobilanzierung festschreiben. Die erforderlichen Datengrundlagen für die zum Bauen erforderlichen Materialien, Produkte, Prozesse und Energie werden in der ÖKOBAUDAT kompatibel zur DIN EN 15804+A2 durch das BMWSB verwaltet und öffentlich zur Verfügung gestellt. Die Bauprodukthersteller sind angehalten, über Umweltproduktdeklarationen (EPD) die Datensätze für ihre Produkte bereitzustellen. Allein die lebenszyklusumfassende Ökobilanz erlaubt die Quantifizierung der Klimawirkung eines Bauwerks – sie ist deshalb zentraler Bestandteil jeder Klimaschutzpolitik.
  • Eine weitere Anforderung ist die Ganzheitlichkeit des Bewertungssystems. So gibt es ökologische, soziokulturelle und ökonomische Kriterien (Drei-Säulen-Modell). International anerkannt wurde das Säulenmodell bereits 2002 beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg und bildet seitdem eine Grundlage für die europäische Nachhaltigkeitsbewertung.
  • Weiterhin müssen alle Kriterien und Anforderungen eines Bewertungssystems mit den Normen und Regelwerken der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB – ehemals Bauregelliste) übereinstimmen bzw. dürfen diesen nicht widersprechen, um Zielkonflikte für die Architekten und Ingenieure zu vermeiden.
  • Abschließend sollte ein Bewertungssystem die umweltpolitischen Forderungen der ESG bzw. die der Berichtserstellung dienenden Anforderungen der Taxonomie-Verordnung nach Möglichkeit integrieren.

QNG führt nicht zu einheitlichen Nachhaltigkeitsregeln

Die Zertifizierung von Gebäuden in Deutschland ist überreguliert […] In Zeiten, in denen mittlerweile auch die Politik eine Entbürokratisierung fordert, wäre dies ein Bereich, in dem Entbürokratisierung schnell umsetzbar wäre

M. Halstenberg [2]

Als Ergebnis der Bestandserfassung aller nationalen und europäischen Regelwerke zum nachhaltigen Bauen kommt Michael Halstenberg in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass es in Deutschland an einem einheitlichen Bewertungssystem für die Nachhaltigkeitszertifizierung von Gebäuden fehlt. Das wiederum führt zu einer Vielzahl an Ansätzen unterschiedlicher Akteure in Deutschland, die Nachhaltigkeit von Gebäuden zu messen oder eigene Branchenstandards losgelöst von bereits etablierten Standards zu schaffen. Im Gutachten wird dies als nicht zielführend – mindestens aber als zu zeit- und kostenaufwendig – betrachtet, was es zweifellos auch ist.

Diese Lücke sollte 2020 mit der Entwicklung des bereits erwähnten Qualitätssiegels Nachhaltiges Gebäude QNG vom BMWSB geschlossen werden. Das QNG-Siegel ist verpflichtend, um im Rahmen der KfW-Neubauförderung Fördermittel zu erhalten.

Das QNG wurde damit auf die Funktion einer Förderungsvoraussetzung reduziert und führt laut Gutachten nicht zu dem angestrebten einheitlichen und abgestimmten Nachhaltigkeitsverständnis, welches zugleich im Einklang mit den international anerkannten Nachhaltigkeitszielen stehen soll, die nationalen und internationalen Normen einhält und die Umsetzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie unterstützt. Für die Erfüllung dieses Anspruchs wäre zumindest die Anwendung des QNG-Siegels durch die überwiegende Mehrheit der Bauherren und Immobilieneigentümer nötig – und nicht nur durch die, die eine Förderung beantragen.

Zu erwähnen ist, dass die Voraussetzung für die Verleihung des QNG ein Nachweis in Form einer Zertifizierung mit einem registrierten Bewertungssystem für nachhaltiges Bauen, wie bspw. das der DGNB, erforderlich ist. Die Zertifizierungsstellen sind also zuständig für die technisch-operative Abwicklung der Prüfung und müssen demzufolge – wie bereits erläutert – entsprechend akkreditiert sein.

Mit der Akkreditierung verbindet sich der Vorteil, dass damit eine verlässliche, einheitliche und gesetzlich geregelte Form der Qualitätssicherung eingeführt wird. Zugleich stellt sie allerdings auch eine hohe Hürde für Zertifizierungsstellen für Gebäude dar. Folgt man dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission Green Claims Directive zur Vermeidung von Greenwashing, gelten div. Grundkriterien, die zu erfüllen wären: Transparenz, Neutralität, Selektivität, wissenschaftliche Qualität, Systemzugang, Umweltgesichtspunkte, Kontrolle der Antragsteller, Trennung von Systeminhaber und Vergabestelle. Künftig müssten demnach alle Zertifizierer hinsichtlich der genannten Kriterien auf ihre Objektivität und Zuverlässigkeit hin geprüft werden.

Empfehlung des Gutachtens: DGNB System als Regelwerk

Das wichtigste abschließende Ergebnis ist, dass das nachhaltige Bauen auf ­europäischer und ­nationaler Ebene zwar vielfältig geregelt ist, allerdings die Komplexität des ­Systems enorm hoch ist

Das wichtigste abschließende Ergebnis des Gutachtens ist, dass das nachhaltige Bauen in Vorschriften und Vorgaben auf europäischer und nationaler Ebene zwar vielfältig geregelt ist, allerdings die Komplexität des Systems enorm hoch ist, die verschiedenen Rechtsetzungsebenen nicht aufeinander abgestimmt sind, die direkte oder indirekte Wirkweise der Vorschriften und Vorgaben unklar ist und eine ganzheitliche Betrachtung letztlich nur innerhalb von freiwilligen Zertifizierungssystemen erfolgt.

Empfohlen wird, ein einheitliches, von der Bundesregierung anerkanntes System zur Grundlage des ESG-Standards zu machen. Die gute Nachricht ist, das mit dem Zertifizierungssystem der DGNB ein System zur Verfügung steht, das mit dem über 16 Jahre erarbeiteten Wissen die Anforderungen der ESG bzw. der Taxonomie und die des QNG bereits integriert hat.

Die komfortable Situation besteht darin, dass alle im DGNB System verankerten Instrumente, Zielsetzungen und Prozesse zur Integration der Nachhaltigkeitsanforderungen in die Planungs- und Bauabläufe in über 10.000 Projekten erfolgreich erprobt sind, mit den Systemvarianten für Neubau, Sanierung, Betrieb, Rückbau und Baustellen. Die DGNB e. V. ist schon heute das größte Netzwerk und die zentrale Wissensplattform für nachhaltiges Bauen in Europa mit rd. 2500 Mitgliedsorganisationen aus allen Bereichen der Bau- und Immobilienwirtschaft.

Die Marktführerschaft in Deutschland und v. a. auch die Ausbildung von über 10.000 Experten (Consultants und Auditoren) haben dazu geführt, dass die Anforderungen und Dokumentationsregeln in der Bauwirtschaft überwiegend bekannt sind und zahlreiche Unternehmen praktische Erfahrung im Umgang mit dem System haben. Eine Konsequenz daraus war bereits, dass die HafenCity Hamburg GmbH sich entschieden hat, die Entwicklung des eigenen Zertifizierungssystems Umweltpreis HafenCity einzustellen und sich auf den DGNB Standard zu fokussieren, um keine Doppelarbeit zu leisten.

Gemeinsam mit den europäischen Systempartnern in Österreich, Dänemark, der Schweiz, Spanien oder Kroatien werden die europäischen Anforderungen möglichst ohne Zeitverzug im System berücksichtigt. Durch die umfangreiche Vereinsstruktur mit Beiräten, Fachausschüssen und Expertenkreisen können einerseits neue Entwicklungen auf dem Bereich der Bauprodukte und der Gebäudetechnik sehr schnell im System Berücksichtigung finden. Zudem ist die Struktur sehr transparent – jeder ist aufgerufen, sich mit neuen Ideen oder Kritik an der Weiterentwicklung zu beteiligen.

DGNB stellt Zertifizierungssystem als Grundlage für gemeinsame Weiterentwicklung zur Verfügung

Die DGNB hat als Konsequenz aus dem Gutachten von Michael Halstenberg auf der Expo Real 2023 in München offensiv für eine einheitliche Regelsetzung zur Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden geworben und möchte ihr Zertifizierungssystem als heutige gemeinsame Definition zur Verfügung stellen, die gemeinsam weiterentwickelt wird, um einen gemeinsamen Nachhaltigkeitsstandard zu entwickeln und die Implementierung voranzutreiben – zunächst für Deutschland, und damit zugleich beratend für die EU. Denn wir haben keine Zeit mehr für Parallel- und Neuentwicklungen: Wir müssen dringend den pragmatischen Weg gehen. Und das bedeutet, das DGNB System als deutschland- und europaweit etablierte Nachhaltigkeitsbewertung zu nutzen.

Was also spricht dagegen, sich auf ein nationales Anforderungs- und Bewertungssystem zum nachhaltigen Bauen auf der Grundlage des DGNB Systems zu einigen?

Ein Grund dafür scheint im Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen BNB zu liegen, das vom BMWSB bzw. dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung BBSR als Systemträger bereitgestellt wird. Das BNB-System wurde 2007 parallel und gemeinsam mit dem DGNB System entwickelt und war zunächst für öffentliche Bauten des Bundes, später auch die der Bundesländer vorgesehen. Begründung für ein eigenständiges öffentliches System waren zusätzliche politisch motivierte Anforderungen oder solche aus dem öffentlichen Vergaberecht. In den Folgejahren sahen sich die Systemträger zunehmend in einer Konkurrenz zum – auf dem Markt erfolgreichen – DGNB System bis hin zu dem Vorhaben, die Entwicklung eigenständiger Zertifizierungssysteme für den nachhaltigen Wohnungsbau oder für kleine Wohngebäude zu fördern – i. d. R. keine öffentlichen Bauvorhaben.

Die Analyse beider Systeme zeigt allerdings, dass es die politisch begründeten abweichenden Anforderungen für öffentliche Bauten nicht gibt, auch die Belange der öffentlichen Vergabe werden durch die im DGNB System geforderten Planungs- und Bauprozesse in keiner Weise beeinträchtigt.

Damit muss hinterfragt werden, aus welchen Gründen Bewertungssysteme wie das BNB seitens des BMWSB mit großem Zeit- und v. a. Kostenaufwand weiterentwickelt werden, obwohl solche bereits am Markt existieren. Zumal die Weiterentwicklung der Anforderungen bedingt durch die verfügbaren Kapazitäten und die öffentliche Struktur viel zu viel Zeit erfordert – ein nächstes Upgrade seit 2017 wird für 2024 erwartet.

Das BMWBS sollte sich auf die wirklich notwendigen übergeordneten Aufgaben konzentrieren, wie die Verfügbarkeit von Datengrundlagen in der ÖKOBAUDAT oder die Formulierung von generellen Leitplanken für die nachhaltige Bewertung von Bauwerken in Form eines erneuerten Leitfadens nachhaltiges Bauen, und dem Hamburger Beispiel folgen und das BNB-System beenden. Dies würde vermutlich den Weg für ein einheitliches, schnelleres und effizientes Vorgehen in Deutschland erleichtern und die Voraussetzung schaffen, dass eine Strategie der Nachhaltigkeitszertifizierer europäisch, besser noch international ausgerichtet sein sollte und die Eindämmung des Greenwashing oberste Priorität hat.


Literatur

  1. Halstenberg, M. [Bearb.] (2023) Gutachten zur Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden in Deutschland [online]. Düsseldorf: Franßen & Nusser (im Auftrag des DGNB e. V.). Stuttgart: DGNB e. V. www.dgnb.de/hintergrundinformationen
  2. Jansen, F. (2023) Die Zertifizierung von Gebäuden in Deutschland ist überreguliert (Interview mit Michael Halstenberg) [online]. Stuttgart: DGNB e. V. https://blog.dgnb.de/gutachten-nachhaltigkeitsbewertung

Prof. Alexander Rudolphi, AR@rudolphi-rudolphi.com
Mitglied des Präsidiums und Gründungspräsident der DGNB
www.dgnb.de

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