Rohstoff, Baustoff, Baukultur.

Strategiepapier des Ettersburger Gesprächs 2023

Klimawandel, energetische Sicherheit, Ressourcenknappheit und gesellschaftliche Veränderungen stellen den Bausektor vor fundamentale Veränderungen. Der Verfügbarkeit von Rohstoffen und damit der Herstellung von Baustoffen sind zunehmend Grenzen gesetzt. Im intelligenten, nachhaltigen und effizienten Planen, kreislauffähigen Errichten und Betreiben wie auch im Sanieren mit Augenmaß, im Umbauen, Weiternutzen, Recyceln und sortenreinen Trennen liegen umgekehrt neue Chancen. Ein sorgfältiger und bedachter Umgang mit vorhandenen Ressourcen ist der Schlüssel zum nachhaltigen Planen und Bauen.

Das Ettersburger Gespräch hat sich mit der Thematik nachhaltiger Bauweisen bereits intensiv befasst und in Strategiepapieren Ziele und Forderungen an die Politik formuliert
Quelle: Axel Clemens

Energie- und Ressourcenverbrauch sowie Emissionen müssen konsequent gesenkt werden. Eine ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft muss daran arbeiten, alle verfügbaren und recycelfähigen Sekundärrohstoffe einer Verwendung im Bauen zuzuführen, um Primärrohstoffe zu ersetzen. Grundlage dafür sind branchenübergreifendes Denken und Handeln, kreative Kompetenz, richtungsweisende und nachhaltige Lösungen, die – unabhängig von der Materialwahl – Rohstoffe sichern und den gesamten Lebenszyklus von Bauwerken umfassen. Baukultur kann mittels klug gefügter Bauwerke und regional ausdifferenzierter Materialien und Bauweisen noch stärker zum Leitbild werden. Der geplante Gebäudetyp E sollte hierzu weiter konkretisiert und auf alle Bauwerke ausgeweitet werden.

Das Ettersburger Gespräch hat sich bereits in den Vorjahren mit der Thematik nachhaltiger Bauweisen intensiv befasst und hierzu in Strategiepapieren eigene Ziele und Forderungen an die Politik formuliert. Es sieht nach wie vor die Notwendigkeit, den beschrittenen Weg konsequent weiterzugehen, und gibt zu den drei Basisfaktoren der laufenden Transformation folgende Erklärungen ab:

Rohstoff

Das Ettersburger Gespräch sieht die Notwendigkeit, Rohstoffverfügbarkeiten und -kosten sowie die Gewährleistung ausreichender Rohstoffreserven bei allen Material- und Gestaltungsfragen von vornherein einzubeziehen. Eine Steigerung beim Einsatz von Sekundärrohstoffen und die rasche Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft sind geeignet, die verbleibenden natürlichen Ressourcen der Erde zu schonen, den Verlust der Biodiversität zu stoppen und so die Lebensgrundlagen generationsübergreifend zu sichern.

Der Neu-, Aus- und Umbau von Gebäuden und Infrastrukturen benötigt Rohstoffe. Mehr als 70 % der abgebauten Rohstoffe in Deutschland werden für die Bauwirtschaft verwendet. Schon nach vier Monaten hat Deutschland 2023 alle natürlichen Ressourcen verbraucht, die laut Global Footprint Network für ein Jahr zur Verfügung stehen. Daher gilt es, Umweltauswirkungen und Flächeninanspruchnahme beim Abbau von Rohstoffen zu minimieren, die EU-Klimaneutralitätsziele früher als 2050 zu erreichen und eine ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Die Nutzung regenerativer Rohstoffe und Sekundärrohstoffe hilft, Abfälle zu vermeiden und sich schrittweise unabhängiger von endlichen Primärrohstoffen zu machen. Eine höhere Zirkularitätsrate geht dabei von einer längerfristigeren Nutzung und nicht vom Verbrauch von Ressourcen aus. Um diese Potenziale auszuschöpfen, sind Regeln und Normen an die Ziele der Kreislaufwirtschaft anzupassen und zu vereinfachen. Global bedarf es ganzheitlicher und proaktiver Ansätze zum sparsamen Umgang mit Rohstoffen und zum Aufbau lokalerer Kreislaufsysteme. Diese sind resilient und anpassungsfähig zu gestalten. Deutschland kann dabei eine Vorreiterrolle einnehmen.

Baustoff

Das Ettersburger Gespräch hält es für erforderlich, die Verwendung von Baustoffen an den Prinzipien des nachhaltigen Bauens auszurichten und den notwendigen Innovationswettbewerb zwischen allen Bauweisen für die besten Lösungen für Klimaneutralität und Ressourcenschonung zu fördern. Dabei sollen alle Baustoffe möglichst sparsam, kreislauffähig und CO2-reduziert eingesetzt werden, um die Zukunft ressourcen- und klimaschonend zu gestalten.

Der Einsatz von Baustoffen und Bauteilen ist über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks zu bewerten. Dies umfasst die Gewinnung und die Transportketten von Rohstoffen, die Herstellung und den Einbau von Baumaterialien und Elementen und deren Nutzungsphase inkl. der Wiederverwendung und Verwertung der Baustoffe nach Rückbau des Bauwerks. Nutzungsflexible, energie- und ressourceneffiziente Bauwerke erfordern eine materialgerechte Planung: Baustoffe und -materialien, trennbare Konstruktionen und Bauprodukte können durch ihre Instandhaltung, Reparatur und Wiederverwendung Bestandteil eines geschlossenen Kreislaufs sein.

Noch ist das Bauen mit Primärmaterialien meist günstiger als das Bauen mit recycelten Materialien. Für den notwendigen Innovationswettbewerb aller Bauweisen um die besten Lösungen für Klimaneutralität und Ressourcenschonung müssen Daten zur Kreislauffähigkeit von Materialien und Informationen zur Instandhaltung sowie zu zukünftigen Rückbaumaßnahmen in einer sorgfältigen Projektdokumentation systematisch erfasst werden. Um Entscheidungen zu vereinfachen und die Verantwortung von Politik, Planung und Bauherrschaft zu stärken, sind Materialpässe als standardisiertes Instrument und Bewertungsmaßstab einzuführen.

Höherwertige Baustoffe rechnen sich über den Lebenszyklus, über Taxonomien könnten Nachteile der Verwendung recycelter Materialien gegenüber Primärmaterialien ausgeglichen und das Bauen im und mit dem Bestand gefördert werden. Hierzu bedarf es einer Neujustierung zwischen Abfall- und Produktrecht im Kreislaufwirtschaftsgesetz, gezielter Forschung zu neuen Recyclingverfahren und der Entwicklung von hochwertigen Verwertungsoptionen sowie regulatorischer Vereinfachungen wie auch wirtschaftlicher Unterstützung.

Baukultur

Das Ettersburger Gespräch sieht in ganzheitlichen Betrachtungsweisen hohe Effizienzpotenziale des klimaverträglichen ressourcenschonenden Planens und Bauens. Baukultur liefert hierzu sowohl vom Prozess als auch vom Ergebnis her den entscheidenden, wenn auch immateriellen Baustoff. Damit Baukultur in die Realität umgesetzt wird, sind verlässliche Standards und durchdachte Gesamtkonzepte mit nachhaltigem Ressourcen- und Flächenmanagement bei gleichzeitig hoher Gestaltqualität notwendig.

Je stärker Rohstoffe und Baustoffe als limitierende Faktoren beim Bauen wirksam werden, desto mehr sind Kreativität, Innovation, aber auch traditionelles Wissen als Bestandteile von Baukultur gefragt. Die Errichtung und Unterhaltung von Bauwerken sollte auf eine möglichst lange Nutzungsdauer ausgelegt sein. So gesehen wird Baukultur zunehmend selbst zum Rohstoff und immateriellen Baustoff. Den gesamten Lebenszyklus zu berechnen, zu bewerten und in den Planungsprozess zu integrieren, ist eine Chance für die Baukultur. Klimaanpassungen, Kreislaufdenken und die Entwicklung des Bestands mit dem Fokus auf dem Umbau müssen über das Bauwerk hinaus auf das Quartier, die Kommune und letztendlich auf ganz Deutschland übertragen werden. Grundlage für durchdachte Gesamtkonzepte mit einem nachhaltigen Ressourcen- und Flächenmanagement ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Kontext. Wie und mit welchen Materialien und Techniken in einer bestimmten Region gebaut werden kann, hängt von diesem Kontext ab. In einer Phase 0 ist es daher wichtig, Anforderungen und Bedürfnisse, die hinter der Planung und Errichtung eines Bauwerks stehen, zielorientiert zu hinterfragen. Das hat Auswirkungen auf die Bauweise, Konstruktion, den Materialeinsatz und die Gestaltqualität sowie auf Investitionsentscheidungen.


Mehr zum Ettersburger Gespräch 2023 unter www.bundesstiftung-baukultur.de/ettersburg2023

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