Der unsichtbare Wohnraum

Wohnsuffizienz als Antwort auf Wohnraummangel, Klimakrise und Einsamkeit

Diese Arbeit untersucht den unsichtbaren Wohnraum und sein Potenzial für den Wohnungsmarkt aus ökonomischer und ökologischer Sicht. Dabei wird der Begriff unsichtbarer Wohnraum definiert: ungenutzte Zimmer in großen Wohnungen, oft ehemalige Kinderzimmer bei alleinstehenden älteren Menschen, die den Raum nicht benötigen.

Diesen Wohnraum zu nutzen würde helfen, die ökonomischen und ökologischen Kosten von Neubau zu vermeiden: Ein 35-m²-Appartment verursacht Kosten (Bau und Grundstück) von 130.000 Euro sowie weitere 220.000 Euro während seiner Nutzungsdauer für Finanzierung und Bewirtschaftung; in neuen Baugebieten für Infrastruktur zusätzlich 120.000 Euro. Ökologisch belastet der Wohnungsneubau eines Jahres in Deutschland das Klima durch Erstellung (mit Baustoffen), Betrieb (im Lebenszyklus) und Infrastruktur (Straßen) mit bis zu 74 Mio. t CO2-Äqu., fast so viel wie sämtliche Haushalte im Jahr im Gebäudesektor verursachen (v. a. durch Heizen). Das Wohnungsbauziel der Ampelkoalition würde einen zusätzlichen Klimaschaden von bis zu 26 Mio. t auslösen.

Zur Alternative des unsichtbaren Wohnraums widmet sich ein Forschungsüberblick drei Bereichen: Immobilien- und Wohnungswirtschaft, Stadt- und Raumplanung sowie Transformations- und Suffizienzforschung. Ergebnis: Der unsichtbare Wohnraum wird oft gar nicht erwähnt oder nicht klar abgegrenzt (etwa gegenüber Leerstand). Wenn es doch einmal um unsichtbaren Wohnraum geht, wird pauschal abgeschätzt, wie viel Wohnfläche eine gesamte Bevölkerungsgruppe sparen könnte. Dieser verallgemeinernde Ansatz wird in dieser Arbeit als Top-down bezeichnet. Im Gegensatz dazu wird in dieser Arbeit erforscht, wie das Flächensparen konkret von einzelnen Personen umgesetzt werden kann; das wird hier mit Bottom-up beschrieben. Es werden Methoden zur Erschließung des unsichtbaren Wohnraums analysiert und mit ihrer Hilfe Potenziale abgeschätzt.

Theoretisch eingebunden wird die Untersuchung in die Social Practice Theory mit flächensparendem (suffizientem) Wohnen als Wohnpraktik. Eine Entscheidung für diese fällt, wenn sie nach Lorek und Spangenberg (2018) in vier Dimensionen leistbar ist: subjektiv, sozial, institutionell und ökonomisch.

Das Thema wird im Sinne explorativer Forschung erschlossen. Nach einer Analyse von Akteuren rund um Wohnen werden Werkzeuge benannt, die unsichtbaren Wohnraum nutzbar machen, gebündelt in der Formel UUU&VW: Untermiete, Umzug, Umbau, Vermittlung (soziale Wohnraumvermittlung) und Wohnen (flexibel und flächensparend). Es wird diskutiert, anknüpfend an eine in der Forschung kursierende Idee, ob eine Wohnraumagentur die Optionen vernetzen kann.

Im Kern der Arbeit steht eine Fallstudie zum Modell Wohnen für Hilfe: Junge Leute wohnen bei älteren, zahlen keine reguläre Miete, sondern helfen im Garten oder im Haushalt. Untersucht werden über 30 Vermittlungsstellen in Deutschland. Das Ergebnis zeigt, gemessen an internationalen Benchmarks, ein Potenzial von bis zu 30.000 vermittelten Wohnpaaren jährlich. Aktuell jedoch liegen die Zahlen unter 500 pro Jahr; zudem haben 26 Vermittlungsstellen ihre Arbeit beendet. Als Hauptgrund ergibt sich die nicht dauerhaft gesicherte Finanzierung. Eine Alternative wäre die Refinanzierung aus Gebühren.

Ergänzend zur Fallstudie folgen Betrachtungen zu anderen flächensparenden Wohnpraktiken. Die Ausschöpfung aller Möglichkeiten des unsichtbaren Wohnraums ergibt ein Potenzial von 100.000 Wohnungen. Es entstünde eine hier skizzierte Kreislaufwirtschaft des Wohnens, eine neu definierte Wohnkonsistenz der Flächen. Als Handlungsempfehlung wird erstens eine Wohnwünsche-Beratung entworfen in Kombination mit Energieberatung (als kombinierte Häuserberatung) sowie zweitens ein Fördermodell des Suffizienzwohnens, um ökologisch und ökonomisch nachhaltigeres Wohnen zu ermöglichen.


Der unsichtbare Wohnraum

Wohnsuffizienz als Antwort auf Wohnraummangel, Klimakrise und Einsamkeit
Daniel Furhop
https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-6900-8/der-unsichtbare-wohnraum

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