Das Collegium Academicum in Heidelberg zeigt mit einem innovativen Holzbausystem, wie Architektur den grünen Wandel vorantreiben kann
Ende 2024 wurde das Studierendenwohnheim Collegium Academicum (CA) in Heidelberg mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis für Architektur 2024 ausgezeichnet, ein Höhepunkt in einer inzwischen erfreulich langen Reihe von Anerkennungen, die die Einzigartigkeit dieses Projekts würdigen. Das Collegium Academicum definiert die Beziehung zwischen Menschen, Architektur und Nachhaltigkeit neu und zeigt, dass hochwertige Lebensräume bezahlbar, klimaschonend, ressourceneffizient und sozial integrativ sein können. Dies gelingt durch einen holistischen Planungsansatz, bei dem Nachhaltigkeit nicht einfach als inhaltsleeres Buzzword über dem Projekt steht. Vielmehr durchdringt sie die ästhetische und funktionale Integration der Architektur vom ersten Moment an.
1 Allgemeines
Betritt man das ehemalige Kasernengelände Konversionsfläche US Hospital im südlichen Heidelberger Stadtteil Rohrbach von der Karlsruher Straße her, fällt der große, zweiteilige Bau mit seiner markanten Holzfassade sofort ins Auge (Bild 1). Auch, wenn man nichts über seine Entstehung weiß, strahlt das Gebäude etwas Außergewöhnliches aus. Das liegt nicht nur an der markanten Holzfassade, deren unbehandelte Oberfläche mit den Witterungsspuren die Besonderheit des Projekts sinnlich erfahrbar macht. Die beweglichen Schiebeläden, die die Architekten von DGJ Architektur aus Frankfurt am Main im Rahmen eines Forschungsprojekts der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) entwickelten, spiegeln das vielfältige Leben dahinter wider – und mit ihrer Flexibilität auch das Grundprinzip des CA (Bild 2). Sie sind nur eine von vielen architektonischen Innovationen, die das Projekt prägen.
Für das Collegium Academicum gibt es mind. 240 Bauherrinnen und Bauherren – so viele, wie es Wohnplätze für Studierende und Auszubildende gibt. Über den Lauf der Jahre sind es vermutlich noch viele mehr gewesen. Denn als sich um das Jahr 2013 herum eine Gruppe junger Aktivist:innen zusammenschloss, um ein eigenes Wohnheim zu bauen, wurde schnell klar, dass es sich um ein Langzeitprojekt handelt, in das viele der engagierten Studierenden der ersten Stunde selbst gar nicht mehr einziehen können – ihr Studium wird dann schon lange beendet sein. Das konnte das Engagement und den Kampfgeist der jungen Menschen nicht schmälern. Zu Beginn gab es weder ein Grundstück noch eine Finanzierung, nur eine große, alles inspirierende Vision: das Konzept eines selbstverwalteten Wohnheims mit hohen Ansprüchen an einen nachhaltigen, suffizienten Lebensstandard, das langfristig bezahlbare Wohnungen für Studierende bereitstellt. Mit unermüdlichem Engagement, großem Mut und unverbrüchlichem Glauben an ihre Idee haben die Studierenden diese Vision Wirklichkeit werden lassen – und damit ein Zeichen für eine neue Baukultur mit Strahlkraft, weit über Heidelberg hinaus, gesetzt.
Als Vorzeigeprojekt für nachhaltigen, gemeinwohlorientierten Wohnungsbau unterscheidet sich das CA in vielerlei Hinsicht von herkömmlichen Bauprojekten, wie anderenorts schon ausführlich dargelegt [1]. Kompakt sei an dieser Stelle die Verwendung von Holz als Baumaterial genannt, das CO2 bindet und das Gebäude zu einer Kohlenstoffsenke macht. Der Grad der Integration von Umweltaspekten ist beim CA herausragend, anders als bei vielen konventionellen Projekten, bei denen Anpassungsfähigkeit und Nachhaltigkeit oft zweitrangig sind oder gar nicht eingeplant werden. Durch niedrige Mieten und barrierefreies Design trägt das Collegium Academicum dem dringenden Bedarf an zugänglichem und erschwinglichem Wohnraum Rechnung. Es stellt die traditionelle Vermieter-Mieter-Beziehung infrage und schafft Unabhängigkeit für die Bewohnenden. Organisiert als gemeinnützige Einrichtung innerhalb des Mietshäuser Syndikats, entzieht das CA die Immobilie dauerhaft dem Immobilienmarkt und stellt damit traditionelle Eigentumsstrukturen infrage. Im innovativen Modell der Selbstverwaltung, das demokratische Prinzipien und gemeinschaftliches Engagement fördert, hört man jede Stimme. Als Bildungsstätte integriert das Collegium Academicum Wissen aus verschiedenen Bereichen und ist ein Beispiel für die erfolgreiche Weitergabe nachhaltiger, suffizienter Lebenspraktiken. Nicht umsonst wurde es als eines von drei Reallaboren im Forschungsprojekt SuPraStadt [2] des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg ausgewählt, das sich auf angewandte Suffizienzpraktiken konzentrierte. Dabei wurden Kommunikations- und Kooperationsprozesse zwischen der Zivilgesellschaft, den lokalen Behörden und der CA initiiert und gefestigt, um die langfristige Verbreitung dieser Praktiken über das Quartier hinaus zu unterstützen.
Für die praktische Umsetzung einer solchen Vision bedurfte es der Zusammenarbeit mit einer Architekt:in, die ähnliche Werte teilt, denn ein rein konventioneller Planungsansatz hätte den Ansprüchen nicht gerecht werden können. Über die Internationale Bauausstellung Heidelberg (IBA), die das Collegium Academicum in ihr Portfolio aufnahm, wurde der Kontakt zu Hans Drexler , Architekt aus Frankfurt am Main, hergestellt, der mit seinem Büro DGJ Architektur schon seit Jahrzehnten mit nachhaltiger Holzarchitektur forscht und plant [3].
2 Integrative Architektur: flexibel und langlebig
Das ganzheitliche, integrative Verständnis von Architektur, das DGJ sich auf die Fahnen geschrieben hat, passte perfekt in dieses Setting. Denn es adressiert bereits im Entwurf und in der Konstruktion alle Dimensionen der Nachhaltigkeit. Während in konventionellen Planungspraktiken oft versucht wird, Nachhaltigkeitsaspekte im Nachgang als technisches Detail auf ein bereits final geplantes Gebäude aufzusetzen, durchdringt Nachhaltigkeit in den Bausystemen von DGJ von vorneherein jeden Planungsschritt. Dadurch wird eine viel tiefer gehende Integration von Umweltfaktoren erzielt. Alle Gebäude werden hinsichtlich des Energieverbrauchs und des CO2 -Ausstoßes optimiert und, wenn möglich, nach aktuellen KfW-Standards, bspw. dem KfW40-Plus-Standard, errichtet. Mit Lebenszyklusbetrachtungen und der Verwendung nachwachsender Rohstoffe werden kreislauforientierte Gebäude geplant, die den Rückbau und die Wiederverwendung von Materialien und Bauteilen begünstigen.
Vor allem spielt die soziale Dimension eine wesentliche Rolle in den Planungsprozessen. Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, betrachtet DGJ als professionelle Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Wenn Gebäude von Bewohnenden wertgeschätzt werden und deren Anforderungen optimal erfüllen, sind sie über den gesamten Lebenszyklus hinweg betrachtet langlebiger. Aus dieser Überzeugung heraus gab es auch beim Collegium Academicum einen partizipativen Planungs- und Bauprozess, bestens geeignet für das Konzept der Selbstverwaltung und Eigenverantwortung. Beim Collegium Academicum ist in Kooperation mit den Nutzenden ein völlig neues Wohnkonzept für gemeinschaftliches Wohnen entstanden.
Der Entwurf von Hans Drexler und DGJ Architektur für das Collegium Academicum ist maßgeblich von der Absicht geprägt, eine Vielzahl von unterschiedlichen Wohn- und Lebensmodellen und eine ausgewogene Mischung von Wohn-, Freizeit- und Arbeitsbereichen innerhalb des Neubaus des Collegium Academicum umzusetzen. Das CA war Teil des Forschungsprojekts Variowohnen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), in dem Strategien zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für Studierende untersucht und gefördert wurden [4]. Die Projekte wurden auf ihre Praxistauglichkeit und ihren Vorbildcharakter hin ausgewählt und untersucht. Vergleicht man die hier aufgenommenen Projekte mit dem CA, wird selbst bei oberflächlicher Betrachtung schnell klar, dass das Collegium Academicum mit seinen flexiblen Grundrissen den radikalsten und konsequentesten Ansatz gewählt hat [5]. Als Teil dieses Programms war es die Absicht der Fördermittelgeberin und der Bauherrin, ein Gebäude zu planen, das heute als Studierendenwohnheim genutzt, perspektivisch zu einem späteren Zeitpunkt aber auch zu altersgerechtem Wohnen umgenutzt werden kann. Beide Anforderungen erfüllt das Collegium Academicum in vorbildlicher Weise.
Die Grundform der einzelnen Wohnung besteht aus einer Gemeinschaftsfläche in der Mitte, um die vier Individualräume und ein gemeinsam zu nutzendes Bad angeordnet sind. Die Individualräume bestehen jeweils aus zwei Teilen mit rd. 7 m² Fläche: einer räumlich geschlossenen Kernzone und einer flexiblen Zone, die räumlich nicht vom Gemeinschaftsbereich der Wohnung abgetrennt werden kann (Bild 3). Die Kernzone kann ein Bett, einen Schrank und einen kleinen Schreibtisch und damit alle wesentlichen Funktionen des Individualbereichs aufnehmen. Die flexible Zone kann nach den individuellen Wünschen und Lebensgewohnheiten der einzelnen Bewohnenden entweder komplett offen verbleiben, durch Raumteiler (Tisch, Regal) teilweise abgetrennt oder auch (durch das Versetzen der Wand der Kernzone oder den Einsatz einer zweiten Wand) komplett separat genutzt werden. Die Konstruktion ermöglicht es, dass die Innenwände im Selbstbau mit einfachen Mitteln hergestellt werden können. Die flexiblen Zwischenwände sind mit einfachen Möbelverbindern (drehbaren Exzenterverbindern) zusammengehalten und können innerhalb weniger Stunden versetzt werden – und das im laufenden Betrieb (Bild 4). Durch die flexible Schaltbarkeit der Vierer-WGs zu größeren Wohneinheiten lassen sich auch andere Wohnformen, wie Groß-WGs oder betreutes Wohnen, mit geringem Aufwand realisieren. Moderne Wohnheime sollten unterschiedliche Lebensmodelle ermöglichen. Auch das Studieren mit Kind für Alleinstehende und junge Familien ist im gemeinschaftlichen Wohnen möglich (z. B. eine Alleinerziehende mit Baby und zwei Mitbewohnenden oder ein junges Paar mit Kleinkind und einer Mitbewohnenden). Der Vorteil der variablen Größe der abgetrennten Individualbereiche besteht darin, dass sowohl Zimmer von 15 m2 (Schlafzimmer) als auch kleinere Zimmer, die als Einzel- oder Kinderzimmer dienen, gebildet werden können. Gerade die Möglichkeit, auch mehrere WGs zusammenzuschalten und die Zimmergröße mit minimalem Aufwand zu verändern, eröffnet die Chance, auch unkonventionelle Wohnformen zu realisieren, wie eine Kombination aus Familien- und Seniorenwohnen innerhalb einer Groß-WG.
Auch die Herstellung der Möbel kann durch die Studierenden und Freiwilligen im Selbstbau erfolgen. Das CA verfügt über eine eigene CNC-Fräse in der hauseigenen Werkstatt, in der nicht nur die Trennwände und andere Ausbauelemente hergestellt werden können. Auch Möbel, wie Bett oder Schrank, sind als Bausatz in der digital gesteuerten Fräse programmiert und können aus einfacher Plattenware ausgefräst und durch Steckverbindungen leicht gefügt werden (Bild 5). Außerdem hat das CA einen kosteneffizienten DIY-Ansatz, durch den die meisten Reparaturen selbst in der Werkstatt durchgeführt werden.
3 Collegium Academicum: Architektonische Einbindung in den Kontext
Für die Revitalisierung des lange brachliegenden Stadtteils Rohrbach spielt das Gebäude mit seinem in Umsetzung befindlichen Quartier-Café mit Hofladen und der großen Aula für verschiedene Veranstaltungsformate mit bis zu 600 Teilnehmenden eine Schlüsselrolle (Bilder 6, 7). Der zweiteilige Neubau bildet das Entrée für das neue Quartier und unterstützt das gemeinsame Ziel der Wiederbelebung der Nachbarschaft, das das CA mit der Stadt Heidelberg teilt. Es ist damit auch ein transformatives Modell für eine nachhaltige, gemeinschaftsorientierte Stadtentwicklung (Bild 8). Der Neubau umschließt einen gemeinsamen Innenhof mit Gemeinschaftsgarten (Bild 9). Der Hof und die Dachterrasse bilden das Zentrum, in dem das gemeinschaftliche Wohnen erlebbar wird. Hier finden Feste, Freizeit und Sport statt. Folgerichtig orientiert sich der Laubengang als barrierefreie Erschließung aller Wohnungen auf dieses Zentrum hin. Durch das Gegenüber der umlaufenden Erschließung entstehen Blickbeziehungen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Der Laubengang dient außerdem als Ort spontaner Begegnung und informeller Treffen. Er weitet sich in den einzelnen Geschossen zu kleineren Terrassen, die gemeinschaftlich genutzt werden können. Das Gemeinschaftliche wird durch das von außen einsehbare Erdgeschoss betont (Bild 10). Die eingeschossige Aula verbindet die beiden Gebäudeteile und bildet einen Treffpunkt für die Hausgemeinschaft und das Quartier. Ein gemeinschaftlicher Dachgarten verbindet die oberen Wohnungen auf dem Dach der Aula. Die Außenanlagen sind frei zugänglich, ebenso ein zukünftiges Café mit Hofladen, das im ehemaligen Pförtnerhäuschen entsteht. Das CA soll langfristig ein Anziehungspunkt für eine wiederbelebte, vernetzte Nachbarschaft im Stadtteil Rohrbach werden, der derzeit unter Überalterung und mangelnder Infrastruktur leidet.
4 Open Architecture – das Holzbausystem mit Nachhaltigkeit in der DNA
In den letzten 20 Jahren hat man versucht, alle Aspekte des nachhaltigen Bauens zu systematisieren, um Gebäude und Stadtteile im Bezug auf Nachhaltigkeit besser bewerten zu können. Diese Bewertungssysteme haben die allgemeine Baupraxis aber kaum beeinflusst. Dafür gibt es v. a. drei Gründe: Erstens können diese Systeme nur fertige Pläne bewerten, helfen aber nicht bei der Entwicklung neuer Entwürfe. Das führt zu Mehrarbeit, die Architektinnen und Architekten als hinderlich empfinden. Sie scheuen daher oftmals den vermeintlichen Mehraufwand von vorneherein. Viele Architekt:innen sehen das Entwerfen v. a. als kreativen Prozess, der nicht durch technische Vorgaben eingeschränkt werden darf. Zweitens wissen Architekt:innen und Planer:innen oft noch immer zu wenig über diese Bewertungssysteme. Sie sind immer noch nicht integraler Bestandteil architektonischer Planung, obwohl die dringlichen Fragen des Umweltschutzes im Prinzip täglich im Arbeitsalltag auftauchen. Unsere Lebensweise und das Wirtschaftssystem führen nicht nur zur Zerstörung unserer eigenen Lebensgrundlage, sondern auch der Lebensgrundlage der anderen Lebewesen und zukünftiger Generationen, mit denen wir den Planeten teilen – eine Tatsache, der sich auch die Profession der Architektur mit mehr Nachdruck stellen muss. Obgleich der Begriff Nachhaltigkeit auch im Architektur-Diskurs der letzten Jahre bis zur Bedeutungslosigkeit abgenutzt wurde, bleibt die große Herausforderung an die aktuellen und künftigen Generationen von Architekt:innen und Ingenieur:innen, Bauweisen zu entwickeln, die nicht zu der Zerstörung der Lebenswelt beitragen, weitgehend ungelöst. Für diese Diskrepanz zwischen der Dringlichkeit der Fragen und dem fehlenden Umsetzen möglicher Lösungen versucht das Bausystem von Hans Drexler Antworten zu liefern, mit denen in die gleiche Stoßrichtung weitergearbeitet werden kann. Drittens ist im Bezug auf die Ausbildung künftiger Architekt:innen und Ingenieur:innen zu bemängeln, dass diese Themen in vielen Ausbildungs- und Studiengängen nicht so gründlich behandelt werden wie andere Fächer (z. B. Statik, Bauphysik). Nicht zuletzt zeigen die Bewertungssysteme nicht, wie man in der Praxis tatsächlich nachhaltig baut. Ihre Wirksamkeit ist dadurch beschränkt. Meist verbessern sie nur die übliche Bauweise höchstens punktuell. Der Ansatz des Bausystems Open Architecture [3] verbindet innovative Holzbautechniken mit nutzerorientiertem Design und digitalen Planungsmethoden zu einem ganzheitlichen Konzept für nachhaltiges Bauen.
Architekt:innen sind dafür verantwortlich, Gebäude zu entwerfen, die nicht nur funktional und ästhetisch ansprechend, sondern auch umweltverträglich, wirtschaftlich tragfähig und sozial gerecht sind. Nachhaltigkeit darf nicht als rein technische Anforderung wie Standsicherheit, Brandschutz oder Schallschutz betrachtet werden. Sie muss vielmehr tief im Entwurf und in der Baukonstruktion verwurzelt sein, so die Überzeugung von Hans Drexler . Um eine nachhaltige Architektur zu erreichen, müssen Themen und Kriterien der Nachhaltigkeit von Anfang an mitgedacht und bereits im Entwerfen und Konstruieren umgesetzt werden. Genau das ist der Kern des neuen Bausystems. Es hilft dabei, die wichtigen Themen einer nachhaltigen Entwicklung im Entwurfs- und Planungsprozess gezielt zu adressieren.
Dabei gehört die Betrachtung des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu den Grundvoraussetzungen. Nicht nur die Bauweise, sondern auch die Nutzung und der Rückbau müssen bereits in der Planung einbezogen werden. Drexler betont, dass die Betrachtung der Nutzungsart und -dauer unerlässlich ist, um die Nachhaltigkeit eines Gebäudes zu gewährleisten. Architekt:innen sollten Räume so gestalten, dass sie anpassungsfähig sind und unterschiedliche Nutzungen über viele Jahre hinweg ermöglichen.
Dabei wird zwischen Flexibilität und Adaptabilität unterschieden. Flexibilität bezieht sich auf die Möglichkeit, Räume durch einfache bauliche Veränderungen zu modifizieren, während Adaptabilität bedeutet, dass Räume ohne physische Veränderungen für verschiedene soziale Zwecke genutzt werden können.
Ein zentrales Element von Drexler s Ansatz ist die Partizipation der Nutzer:innen im Entwurfsprozess. Nur so können Architekt:innen deren Bedürfnisse und Wünsche verstehen. Dies fördert nicht nur eine höhere Akzeptanz der Gebäude, sondern sorgt auch dafür, dass diese effizient genutzt werden. Projekte wie das Collegium Academicum zeigen, wie durch partizipative Planung ein Gefühl von Gemeinschaft und Verantwortung unter den Nutzer:innen geschaffen werden kann, das ein Gebäude über viele Jahre hinweg für die Nutzenden wertvoll macht. Das Bausystem ist Ergebnis einer über fünfjährigen Entwicklungsarbeit des Planungsbüros DGJ Architektur, die im Rahmen von zwei Forschungsprojekten vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert wurde [3].
5 Material, Rezyklierbarkeit und Kreislaufwirtschaft
Drexler hebt die Bedeutung von nachhaltigen Materialien hervor, insbesondere von Holz als Schlüsseltechnologie für nachhaltiges Bauen. Die Verwendung von Holz in der Konstruktion kann nicht nur ökologische Vorteile bieten, sondern auch ästhetische und funktionale Qualitäten. Die form- und kraftschlüssigen Zimmermannsverbindungen in der Primärkonstruktion können nicht nur leicht demontiert und recycelt werden (Bilder 11–13), was einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft darstellt, sondern sie können durch die Tatsache, dass bei der monomateriellen Holzkonstruktion auf innige Verbindungen mit umweltschädlichen Klebemitteln verzichtet wird, auch leicht wieder in den Wertstoffkreislauf integriert und wiederverwendet werden, was die höchste Stufe der umweltfreundlichen Verwendung von Baumaterial darstellt. Außerdem erleichtert der Holzbau flexible und anpassungsfähige Gebäudestrukturen, die so angelegt sind, dass sie sich an zukünftige Bedarfe und technische Entwicklungen anpassen können.
Ein modularer Aufbau in Elementholzbauweise erleichtert Anpassungsfähigkeit und bspw. Umnutzung oder Erweiterbarkeit. Durch die Verbindung der Holzbauteile entstehen vorgefertigte Elemente, die auf der Baustelle nur noch zusammengesetzt werden müssen und eine kurze Montagezeit erfordern. Der integrative Planungsprozess spart Zeit und damit Geld, indem möglichst viele Beteiligte frühzeitig eingebunden werden. Vorgefertigte Wände und Decken werden zusammen mit Fenstern, Fassaden, Leitungen und technischen Geräten auf die Baustelle gebracht. Digitale Planungswerkzeuge (BIM) bilden dafür die Grundlage. Andere Bauprojekte mit ähnlichen Nachhaltigkeitszielen wurden bereits mit der Open Architecture realisiert. Viele lokale Zimmereien und Holzbaubetriebe können es einfach realisieren, wodurch regionale Wertschöpfungsketten gefördert werden.
Der einzigartige architektonische Ansatz, der beim CA umgesetzt wurde, hat es dem Projekt ermöglicht, komplexe Herausforderungen in den Bereichen Wohnungsbau, Nachhaltigkeit und soziale Entwicklung auf ganzheitliche und integrierte Weise anzugehen. Damit widerlegt dieses Projekt auch traditionelle Bedenken gegenüber nachhaltigen Bauweisen, die an der Praktikabilität solcher Ansätze zweifeln.
Das Bausystem liefert v. a. einen Beitrag zu einer unerlässlichen Diskussion. Einer Diskussion nämlich um die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, bestimmte Herausforderungen des Entwerfens systematisch anzugehen, besonders wenn es um unsere großen Zukunftsaufgaben und die komplexen Ansprüche des nachhaltigen Bauens geht. Als skalierbares und replizierbares Modell dient das Collegium Academicum als praktisches Beispiel dafür, wie Architektur den grünen Wandel vorantreiben kann.
Literatur
- Hüppauff, T.; Zimmermann, P.; Cop, C. (2025) Suffizientes Wohnen im Collegium Academicum – Sozialökologische Forschungsergebnisse und Bewohner:innen-Erfahrungen aus einem selbstverwalteten Wohnheim. nbau. Nachhaltig Bauen (zur Veröffentlichung angenommen).
- Brischke, L.; Dingeldey, M.; Deffner, J.; Stieß, I.; Hüppauff, T.; Hunecke, M.; Nuermann, M.; Bonan, M. (2022) Lebensqualität, Teilhabe und Ressourcenschonung durch soziale Diffusion von Suffizienzpraktiken in Stadtquartiere (SuPraStadt) . Heidelberg: ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH. https://www.ifeu.de/fileadmin/uploads/pdf/SuPraStadt_Endbericht_221130.pdf
- Drexler, H. (2021) Open Architecture – Nachhaltiger Holzbau mit System . Berlin: jovis Verlag.
- BBSR (2021) VARIO Wohnen – Bezahlbau, anpassbar, nachhaltig . Zukunft Bauen: Forschung für die Praxis, Bd. 26. Bonn: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR). https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/zukunft-bauen-fp/2021/band-26.html
- BBSR [Hrsg.] Modellvorhaben Variowohnungen [online]. Bonn: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR). https://www.zukunftbau.de/projekte/modellvorhaben/modellvorhaben-variowohnungen [Zugriff am: 20. Februar 2025]
Autor:in
Dr. Isabelle Drexler, i.drexler@dgj.eu
Pressesprecherin DGJ Architektur GmbH, Frankfurt am Main
www.dgj.eu